München, Schellingstr. 38 MB II lLudwig Scharf wohnte seinerzeit als Übersetzer [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1906, Teil II, Sp. 1268] und Schriftsteller ausgewiesen unter dieser Adresse in München (Schellingstraße 38, Mittelgebäude, 2. Stock, links) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1906, Teil I, S. 463].
10.XII.05
Lieber Wedekind,
ich höre, dass Du nächst dem HetmannWedekind spielte in „Hidalla“ am Kleinen Theater (Direktion: Victor Barnowsky) in Berlin die Hauptrolle des Karl Hetmann (Premiere: 26.9.1905). Die Inszenierung, die allein bis zum Jahresende 40 Vorstellungen erlebte, hatte einen starken Publikumserfolg. auch den
MarquisWedekind hatte am 13.12.1905 ein „Marquis von Keith“-Gastspiel im Kleinen Theater (Direktion: Victor Barnowsky) in Berlin, sein zehnter Auftritt in der Titelrolle, wie er notierte: „Ich spiele zum 10 Mal den Marquis“ [Tb]. in Berlin noch spielen wirst. Dadurch verzögert sich Deine Ankunft in
München wohl noch um WochenWedekinds Reise nach München verzögerte sich um Monate; er blieb in Berlin und reiste erst wieder am 25.6.1906 zu einem längeren Aufenthalt nach München [vgl. Tb].. Man hat aber, um gewisse Solidaritätsgefühle nicht
in die Brüche gehen zu lassen, das unabweisliche Bedürfnis ‒, von Zeit zu Zeit sich zu sehen und zu sprechen.
Ich möchte Dir nun folgenden, auch von Langheinrich unterstützten Vorschlag machen: Du hast in
Berlin mit Lilienkron u. Dehmel literarische AbendeWedekind hatte am 5.3.1905 im Beethovensaal in Berlin (Köthener Straße 28) um 12 Uhr eine gemeinsame Matinee zusammen mit Gertrud Eysoldt, Detlev von Liliencron und Marcell Salzer [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 116, 4.3.1905, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (12)], die er im Tagebuch festhielt („Vortrag im Bethovensaal mit Gertrud Eysold Lilienkron und Marzel Salzer“), um danach abzureisen („Abfahrt nach München“). Ein gemeinsamer Vortragsabend von Detlev von Liliencron und Frank Wedekind fand am 22.10.1905 um 20 Uhr wieder im Beethovensaal in Berlin statt [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 529, 17.10.1905, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (4)], von Wedekind im Tagebuch notiert („Abends mit Detlev von Lilienkron Vortrag im Bethovensaal“), außerdem ein gemeinsamer Vortragsabend von Frank Wedekind und Richard Dehmel am 3.12.1905 wiederum um 20 Uhr im Beethovensaal [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 613, 2.12.1905, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (3)], von Wedekind ebenfalls im Tagebuch notiert („Vortrag mit Richard Dehmel im Bethoven Saal der Philharmonie“). veranstaltet: wie wäre es,
wenn Du mit mir zusammen | einen dritten Abend arrangieren würdest? Es dürfte
Dir oder Deinem Agenten keineswegs schwerfallen und wird nur von Deinem guten
Willen abhängen. ‒
Ich will Dir kein Klagelied vorsingen von den
elenden Verhältnissen, in denen ich immerzu lebe, und die dadurch wieder etwas
gebessert würden. Ich will Dich nur daran erinnern, dass Du durch einen
solchen VortragsabendEin gemeinsamer Vortragsabend von Wedekind und Ludwig Scharf in Berlin fand offenbar nicht statt. eine event. grössere Hilfsaction, wie ich sie mit Dir
schon einmal besprochen habe (Harden, Zukunft), am leichtesten in die Wege
geleitet werden könnte.
Ueberleg’ Dir’s einmal und schreib mir dann eine
Zeile darüber! Es spränge für meinen Teil bestimmt soviel heraus, dass ich
Reise und Berliner Aufenthalt damit bestreiten könnte. Vielleicht noch | etwas
darüber. ‒
Es würde mich freuen, wenn wir uns auf diese
Weise wieder mal in Berlin sehen würden, was, glaube ich, seit 97Ludwig Scharf, der dann wieder nach München ging, hatte 1897 als Redakteur in Berlin gelebt, wo er viel mit Wedekind zu tun und seine damalige Redaktionsadresse (Magdeburgerstraße 13) als Deckadresse für Wedekinds Korrespondenz mit seiner verheirateten Geliebten zur Verfügung gestellt hatte [vgl. Julia Rickelt an Wedekind, 26.8.1897 und 1.9.1897]. nicht
mehr der Fall war.
Mit herzlichem Gruss ‒
Dein alter
Ludwig Scharf.
Es geht das Gerücht, dass Du nach Berlin
übersiedeln wollest. Diese Befürchtung, Du könnest München verloren gehen,
dürfte Dir bei Deinem Wieder-Erscheinen
sehr zu gute kommen. ‒