BAD
TÖLZ, DEN 11. Jan. 1915.
LANDHAUS THOMAS MANN.
Sehr verehrter Herr Wedekind:
Von Kurt Martens höre ich zu meiner Bestürzung,
daß Sie recht krank waren und wohl gar noch sind, ‒ sich einer Operation unterziehenWedekind wurde am 29.12.1914 erstmals am Blinddarm operiert und am 9.1.1915 aus der Klinik entlassen, wie er festhielt: „Mit dem Sanitätswagen nach Hause gebracht.“ [Tb] mußten und was noch alles! Ich möchte
Ihnen doch sagen, wie sehr ich das bedaure und wie sehr ich wünsche, daß dies
Mißgeschick bald und völlig vorübergehen möge.
Bei uns ging es in den letzten Monaten ziemlich
kümmerlich zu. Die KinderKatia und Thomas Manns Kinder Erika (* 9.11.1905), Klaus (* 18.11.1906), Golo (* 27.3.1909) und Monika (* 7.6.1910). waren krank, eines sogar gefährlich, die Gesundheit
meiner Frau litt unter der Pflege, auch ich war | durch die Erschütterungen und
Sorgen der Zeit ziemlich mitgenommen, und so haben wir denn auf einige Wochen
unsere hiesige Zuflucht aufgesucht, wo ich zu meiner laufenden Arbeit
zurückzufinden suche, nachdem ich während der
ersten Kriegsmonate allerlei politische und historische Allotria getriebenThomas Mann hat in den ersten Monaten nach dem Kriegsbeginn vom 1.8.1914 Kriegsessays wie „Gedanken im Kriege“ oder „Gute Feldpost“ geschrieben und veröffentlicht, in denen er wie fast alle deutschen Schriftsteller den Ersten Weltkrieg begrüßte..
Ich wollte wohl, ich könnte in München bald einmal wieder mit Ihnen über die
Ereignisse sprechen. Sie setzen einem im Ganzen nicht wenig zu, ‒ man war nicht darauf eingerichtet, große Geschichte zu erleben. Denn als große Geschichte
muß man die Dinge doch schließlich anerkennen, obgleich eine gewisse
radikal-intellektuelle, humanitär-|pazifistische RichtungAnspielung auf den Bruder Heinrich Mann, der von Anfang an ein entschiedener Kriegsgegner war. den Krieg ungefähr
als Schwindel hinstellt.
Auf Martens’ Empfehlung lese ich jetzt endlich
Kubins schon vor einer Reihe von Jahren erschienenen Roman „Die andere Seite“.
Er unterhält mich sehr. Ich bin in zwei, drei Tagen damit fertig, und wenn das
Buch Sie interessiert, würde ich es Ihnen gern schicken.
Die besten Wünsche also für Ihre rasche und
vollkommene Wiederherstellung!
Ihr sehr ergebener
Thomas Mann.