Sehr geehrter Herr Bonsels!
Erlauben Sie mir, Ihnen für die außerordentlich
hohe Einschätzung, mit der Sie meine Arbeiten in Ihrem Essay Waldemar Bonsels nennt Wedekind nicht nur einen der „begabtesten Lyriker unserer Zeit“, sondern schließt seinen Aufsatz mit einer Würdigung Wedekinds als Dramatiker, wenn er über „den dramatischen Stil unserer Zeit“ schreibt: „Aber nicht Gerhart Hauptmann hat ihn erschaffen, sondern Frank Wedekind, in seinen Tragödien der Lulu, im ‚Erdgeist‘ und in der ‚Büchse der Pandora‘. Und indem ich ihn, durch dieses Werk überzeugt, den großen Dramatiker unserer Tage nenne, bleibt es jedem unbenommen, darüber Gerhart Hauptmann als den größeren Dichter zu schätzen. Aber meine Überzeugung ist, daß die Entwicklung des deutschen Dramas von Schiller her, über Frank Wedekind den Weg in die Zukunft nehmen wird.“ [Waldemar Bonsels: Gerhart Hauptmann. In: Die neue Zeit. Beiträge zur Geschichte der modernen Dichtung. Erstes Buch. München, Berlin 1912, S. 9-18, hier S. 16, 18]. Das Buch, in dem der Aufsatz abgedruckt ist, war der erste Band (mehr nicht erschienen) einer Reihe, herausgegeben und verlegt von Heinrich Franz Bachmair, den Wedekind am 20.11.1912 in der Heinrich F. S. Bachmair Verlags- und Kommissionsbuchhandlung (Kurfürstenstraße 39) aufgesucht hat: „Nachmittag Besuch bei Verleger Bachmeier wegen Bonselsartikel“ [Tb]. Fünf Jahre später erzählte Waldemar Bonsels in der Torggelstube die vermutlich hinter dem Artikel stehende oder daraus resultierende Geschichte, wie Wedekind am 12.12.1917 notierte: „Abends mit Waldemar Bonsels [...] in der T.St. Er erzählt seinen Besuch bei Hauptmann.“ [Tb]über GerhardSchreibversehen, statt: Gerhart.
Hauptmann auszeichnen, meinen aufrichtigen Dank zu sagen. Sie stehen natürlich
auf dem vollkommen gerechtfertigten Standpunkt, daß Ihre literarischen
Ansichten in gar keinen Beziehungen zu meinen Interessen stehen. Da mir in den
Augen maßgebender Faktoren, ich nenne nur das Münchner HoftheaterWedekind hatte bis dahin vergebens versucht, an den Bühnen des Königlichen Hof- und Nationaltheaters (Intendant: Clemens von Franckenstein) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 549] in München mit seinen Stücken Fuß zu fassen., aber immer
noch das Brandmal des Geächteten an|haftet, so macht ein Aufsatz wie der Ihrige
es mir sicherlich wieder etwas leichter, meine Arbeit zu Geltung zu bringen.
Erlauben Sie mir, darin auch die Tendenz Ihrer Arbeit zu erblicken und die hohe
Einschätzung auf Rechnung eines außerordentlich großen Wohlwollens zu setzen,
durch das Sie mich eben doch zu mindestens ebenso großem Dank verpflichten.
Mit besten Grüßen
Ihr ergebener
Frank Wedekind.
München 23.11.12.
[Kuvert:]
Herrn
Waldemar
Bonsels
München
Leopoldstrasse 77. |
Absender Fr. Wedekind
Prinzregentenstraße 50.