Sehr verehrter Herr Bahr!
Eben lese ich mit größtem Genuß und wachsendem Interesse
„Die RahlHermann Bahrs Roman „Die Rahl“ (1908), von dem Wedekind ein Exemplar mit handschriftlicher Widmung des Verfassers besaß [vgl. Hermann Bahr an Wedekind, 19.11.1908].“. Ich bin entzückt von der psychologischen Feinheit und der Eleganz,
mit der Sie die spröden Probleme meistern. Ich bin aufs höchste auf den
Schlußakord dieser verschiedenen Klänge gespannt. Ich sehe in Ihren Menschen | keine
beliebigen Individuen, sondern Vertreter von Phasen der Entwicklung.
Nach meinem Wiener VortragWedekind notierte auf einer Lesereise am 18.3.1909 „Ankunft in Wien“ und „Vortrag“ [Tb], eine vom Verein für Kunst und Kultur veranstaltete Lesung im Bösendorfersaal (Beginn: 19.30 Uhr), angekündigt: „Das vollständige Programm des am 18. d. von Frank Wedekind veranstalteten Vortragsabends lautet: 1. ‚Die Zensur‘, zweite Szene (zwischen Buridan und dem Zensor). 2. ‚Totentanz‘, drei Szenen. 3. Gedichte.“ [Vorlesung Frank Wedekind. In: Die Zeit, Jg. 8, Nr. 2326, 15.3.1909, Abendblatt, S. 2] Wedekind reiste am 19.3.1909 wieder aus Wien ab und Hermann Bahr, der die Lesung am Vorabend wohl besucht hat, dürfte ihm bald darauf geschrieben haben (siehe unten). schrieben Sie mir ein paar so
liebe Wortenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Hermann Bahr an Wedekind, 19.3.1909.. Gott/Ja/, ist es denn meine Schuld, daß man nicht mehr von
einander hat? Als ich mit der Schriftstellerei anfing, hatte ich wenig vertrauen
auf Erfolg aber ich freute mich
ungemein auf den interessanten | Verkehr. Jetzt scheint es mir oft als lebten
wir in einer Welt von Einsiedlern. Kommen Sie im Juli nach
München? Ich würde mich wirklich ungemein freuen, wenn wir auch einmal zusammen
künstlerisch arbeiten könnten. Und da sich die Kluft zwischen Reinhardt und mirWedekinds Streit mit Max Reinhardt, Direktor des Deutschen Theaters zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1909, S. 284], um seinen Schauspielervertrag [vgl. Vinçon 2014, S. 199], der kulminiert war, als er ein Dossier „Reinhardt Tagebuch“ [KSA 5/II, S. 278-281] am 17.10.1908 an die Sozietäre des Deutschen Theaters und weitere Personen der kulturellen Öffentlichkeit verschickt hatte (siehe Wedekinds Briefe unter diesem Datum an Fritz Andreae, Paul Cassirer, Maximilian Harden, Emmy Loewenfeld, Robert von Mendelssohn, Walther Rathenau und Hermann Rosenberg).
wieder geschlossen hatten, ließe sich doch garnicht absehen, was für
Sträucher und Bäume zwischen uns Dreien, wenn ich mich dazu rechnen darf,
aufschießen könnten. |
Meine Frau und ich senden Ihrer verehrten Frau GemahlinHermann Bahr war seit dem 24.8.1909 in zweiter Ehe mit der gefeierten Wagnersängerin Anna von Mildenburg verheiratet. und
Ihnen die herzlichsten Grüße.
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns bald einmalEin Treffen scheint es so bald nicht gegeben zu haben. Jedenfalls notierte Wedekind erst am 26.6.1910 in München: „Hermann Bahr kommt zum Thee.“ [Tb]
aussprechen könnten, auch wenn es zu keinem anderen Resultat führen sollte, als
daß wir einander näher kämen.
Mit herzlichsten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.
München, 18.4.9.
Prinzregentenstraße 50.