Graz
den 28./4 1906.
Lieber Herr Wedekind!
Nur noch wenige Tage, und Sie
führen unsere liebe Tilly zum TraualtarWedekind und Tilly Newes haben nicht kirchlich, sondern am 1.5.1906 in Berlin standesamtlich geheiratet ‒ auf dem Standesamt Moabit [vgl. EWK/PMB Wedekind]., und damit einer neuen Zukunft
entgegen.
Wir alle wünschen aus tiefstem Herzensgrunde daß es für Sie
beide eine recht glückliche, und sorgenfreie sein möge. Was es für uns
bedeutet, Tilly’s Hochzeitstag nicht persönlich beiwohnenTilly Wedekinds Memoiren zufolge hat sie ihre Eltern gebeten, „daß niemand zur Hochzeit käme, Frank sei kein Freund von Familienfesten.“ [Wedekind 1969, S. 67] zu
können, kann nur sie allein ermessen; aber mit dem Schicksal läßt sich nicht
hadern. |
Und so wollen und müssen wir uns in Geduld fassen, und ruhig
die Zeit abwarten, bis wir die große Freude haben werden, Sie und Tilly hier in Graz zu sehen, und Sie als unseren Sohn zu
begrüßen.
Für heute aber kann ich nur noch einmal die Bitte an Sie
stellen, seien Sie lieb und gut gegen Tilly, und was das Leben auch bringen
möge, halten Sie treu und fest zusammen. Dies hoffend lege ich nochmals meine
Hände auf Euer Haupt.
Gott segne und schütze Euch!
Eure treue alte
Mama. |
Mein
lieber Frank!
Mama hat mir aus denSchreibversehen, statt: dem. Herzen
gesprochen und schließe ich mich ihren Schreiben vollinhaltlich an. Tilly hat ein sehr gutes Herz und hat Dich nach ihren Briefen
wirklich aufrichtig lieb, es wird Dir also nicht schwer fallen, sie mit treuer
und fester Hand zu lenken und zu hüten. Gott schütze Euch und lasse Euch
glücklich sein.
Euer
Glück ist auch unser Glück!
Hoch,
Dreimal hoch zum 1teSchreibversehen, statt: 1ten. Mai.
Es umarmt Dich
Dein treuer alter
Papa