Berlin W. Kurfürstenstraße 125
Herbst 1907.
Ew. HochwohlgeborenAdressat des in ironischem Stil verfassten Briefs ist der Eigentümer des Hauses Kurfürstenstraße 125 in Berlin [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil III, S. 429], der dort im Parterre ein Baugeschäft betrieb: Wilhelm Hamann, Maurer- und Zimmermeister. Er hat vor Jahren selbst einmal in dem Haus gewohnt, aktuell wohnte er in der Kyffhäuserstraße 11 [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 784].!
Da Ew. Hochwohlgeboren mich mit der
schmeichelhaften Bitte um ein AutogrammDer Vermieter benötigte eine Unterschrift seines Mieters Frank Wedekind, vermutlich in Zusammenhang mit der Kündigung der Wohnung. beehren, ersuche ich Sie, meine
Unterschrift als solches hinzunehmen. Zugleich wollen auch Sie mir erlauben,
Sie um eine Gefälligkeit zu bitten. Direkt unter meiner WohnungWedekind wohnte im 3. Stock. Die Rentiere Rosa Meyer (geb. Wollmann) wohnte mit ihrer Tochter Anna Meyer in der Wohnung unter ihm: Kurfürstenstraße 125, 2. Stock [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 1572]., und zwar Kurfürstenstraße
125 II r spielt die zukünftige Klaviervirtuosin, Fräulein Anna Meyer zu
jeder beliebigen Tageszeit stundenlang Klavier und macht mir dadurch jede
geistige Arbeit unmöglich. Selbstverständlich habe ich die Wohnung gekündigtWedekind, der die Wohnung im 3. Stock rechts in der Kurfürstenstraße 125 am 31.8.1906 bezogen hat, notierte am 25.10.1907 seine „Wohnungskündigung“ [Tb].,
muß die Marter aber noch fast ein JahrWedekind zog im Jahr darauf nach München um (Einzug in die Wohnung Prinzregentenstraße 50 am 1.10.1908). über mich ergehen lassen. Wenn Ew.
Hochwohlgeboren irgend etwas, was mit unseren Gesetzen nicht in Widerspruch | steht,
dazu tun könnten, um Fräulein Anna Mei/y/er, die meines Erachtens weder Musikgehör
noch Empfindung für Rhythmus besitzt, von ihrem KlavierspielWedekind in seiner Abneigung gegen „Klaviergeklimper“ [Wedekind an Maximilian Harden, 10.9.1913] hatte in dieser Angelegenheit bereits im Frühjahr 1907 Beschwerdebriefe an den Vermieter verfasst [vgl. Wedekind an Wilhelm Hamann, 12.4.1907 und 17.4.1907] und einige Tage zuvor in der Sache auch an die unter ihm wohnende Mieterin geschrieben [vgl. Wedekind an Rosa Meyer, 25.10.1907]. abzuhalten, so
würden Sie dadurch zu aufrichtiger tiefster Dankbarkeit verpflichten
Ew. Hochwohlgeboren ergebenen
Frank Wedekind