Münchner
Schauspielhaus
J. Georg Stollberg
Telefonruf 1274.
München, den 31 August 1898.
Neuturmstrasse 1.
Lieber Herr DoctorWedekind antwortet mit dem vorliegenden Brief auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Ludwig Jacobowski an Wedekind, 30.8.1898.,
mit gleicher Post geht Ihnen eingeschrieben der
EinakterWedekind hatte seinen „Das Gastspiel“ [vgl. KSA 4, S. 331f.] betitelten Einakter (später: „Der Kammersänger“) für einen möglichen Vorabdruck in der Zeitschrift „Die Gesellschaft“ (Herausgeber: Michael Georg Conrad und Ludwig Jacobowski) vorgeschlagen [vgl. Wedekind an Ludwig Jacobowski, 25.8.1898]. Ludwig Jacobowski dürfte Wedekind in seinem nicht überlieferten Schreiben (siehe oben) dazu aufgefordert haben, ihm das Manuskript einzusenden; es ist „nicht überliefert.“ [KSA 4, S. 331]. „Das Gastspiel“ zu. Ich habe die drei Abschnitte darin mit Blaustift
markirt. Es werden jedesmal etwa 20 Seiten. Das Stück ist kein
Brillantfeuerwerk, Sie werden mich kaum wiedererkennen. Es war mir darum zu
thun etwas Anspruchsloses und dabei Solides zu schaffen, da ich mit meinen
übrigen Sachen bisher wenig Glück gehabt hatte. Ich bitte Sie, es von diesem
Gesichtspunkt aus zu lesen, dann werden Ihnen die Längen darin vielleicht auch
nicht als solche erscheinen. Ich glaube übrigens auch nicht daß auf der Bühne
viel darin zu streichen wäre, da sich der Dialog nur aus Leidenschaftlichkeit
und Dialektik zusammensetzt. Es käme lediglich auf das Können der Schauspieler
an.
Sollte sich das Stück nun aber doch nicht für die
„Gesellschaft“ eignen, so würde ich das vollkom|men begreifen. Ich weiß wie
viele verschiedene Gesichtspunkte darin maßgebend sind und bitte Sie, in diesem
Falle, mich das ohne irgend welche Umschweife oder weitläufige Erklärungen
wissen zu lassen. Eine Zeitschrift ist keine Bühne und was auf der Bühne wirken
soll braucht deswegen noch nicht in einer Zeitschrift vom Leser als
wirkungsvoll empfunden zu werden.
Unser RepertoirSchreibversehen, statt: Repertoire. ist erst auf acht TageDas Münchner Schauspielhaus unter der Direktion von Georg Stollberg wurde am 7.9.1898 mit Georg Hirschfelds Drama „Die Mütter“ eröffnet, für den 8.9.1898 war als Nachmittagsvorstellung Max Halbes „Jugend“ vorgesehen und für den 10.9.1898 neu einstudiert als Abendvorstellung Gerhart Hauptmanns „Der Biberpelz“ [vgl. Allgemeine Zeitung, Jg. 101, Nr. 246, 6.9.1898, S. 6].
festgelegt. Von da ab soll jede Woche eine Novität kommen, darunter Ihr „Dijab“vgl. Wedekind an Ludwig Jacobowski, 25.8.1898. Ludwig Jacobowski hatte seine Komödie „Dijab, der Narr“ (1895) für eine mögliche Inszenierung am Münchner Schauspielhaus angeboten, die nicht zustande kam.;
es sind im Ganzen bis jetzt etwa 10 Stücke in Aussicht genommen, darunter auch
eines von mirWedekinds Tragödie „Der Erdgeist“ (1895), die am 29.10.1898 am Münchner Schauspielhaus Premiere hatte.; welches, das ist noch unbestimmt. Und ich kann in meiner
Stellung Ihnen so wenig eine verbindenden Nachricht geben wie mir selber. Da Sie
schon mehrfach aufgeführt sind, haben Sie noch einen Vorsprung vor mir.
Ich habe mich seit bald 10 Jahren nicht mehr
photographirenLudwig Jacobowski dürfte in seinem nicht überlieferten Schreiben (siehe oben) um eine Fotografie Wedekinds gebeten haben. lassen, werde es nun aber doch thun und Ihnen dann sofort ein Exemplar
zuschicken.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.