Königreich Bayern
Kartenbrief
An Herrn
Dr. Artur Landsberger
in Berlin W.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Lenné-Strasse 3. |
Adresse
des Absenders: |
Sehr geehrter Herr Doctor!
Eben finde ich hier in MünchenWedekind war seit dem 24.5.1908 von seiner Reise nach Graz und Wien zurück in München, zu der er am 21.4.1908 von dort aufgebrochen war [vgl. Tb]. Ihre geehrten
Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Artur Landsberger an Wedekind, 26.4.1908. Der Schriftleiter des „Morgen“ hat Wedekind um einen kleinen Beitrag für die Wochenschrift gebeten, deren 2. Jahrgang am 1.7.1908 beginnen sollte. Er hat wohl auch von dem vom „Morgen“ veranstalteten Vortrag berichtet, den Georg Brandes am 25.4.1908 in Berlin über Wedekind hielt (siehe unten)., in denen Sie mir wegen eines kleines Beitrages zum Morgen schreiben. Es
wird jetzt wol längst zu spät sein. Ich habe aber auch gar nichts Druckbares
bei mir und eingefallen ist mir seit BerlinWedekind notierte am 13.4.1908: „Abfahrt von Berlin nach München.“ [Tb] Während seines Aufenthaltes in Berlin hat Wedekind den Schriftleiter des „Morgen“ am 1.3.1908 nachweislich zuletzt gesehen (Artur Landsberger hatte wieder zu einem Essen eingeladen): „Dr. Landberger giebt ein Diner bei Adlon“ [Tb]; unter den Gästen war auch Georg Brandes. auch nichts | besonderes. Brandes
scheint scharf mit mir ins Gericht gegangenGeorg Brandes hat in Berlin am 25.4.1908 einen Vortrag über Wedekind gehalten (siehe unten), über dessen Inhalt Wedekind durch einen Bericht im „Berliner Tageblatt“ (Verfassersigle: PW) informiert gewesen sein dürfte, wie Stichworte im vorliegenden Brief („Humor“, „Unterhaltung“) vermuten lassen, die aus diesem Bericht aufgenommen sein könnten: „Georg Brandes hat jetzt, am Ende der Vortragszeit, der Hauptstadt des Deutschen Reiches noch einen Besuch abgestattet. Im Oberlichtsaal der Philharmonie sprach er über ‚Frank Wedekind‘, sehr unterrichtend und mit vielen eigenen Wendungen. Im Resultat begegnet er dem, was heute die Majorität über Wedekind denkt. Er nimmt ihn als einen ‚Feuergeist‘ und als einen Charakter, der durch die Unterdrückung der Sinne gelitten hat. Anfangs sei ein wilder Galgenhumor für ihn bezeichnend, dann, infolge zweier Prozesse, gebärde er sich als Moralist, als Verkannter. Scharfsinnig zergliedert Brandes die einzelnen Werke, deren Originalität er bewundert. Es ist sehr interessant, wie er die unkünstlerischen Elemente, die sie enthalten, dem Mangel einer deutschen Lustspieltradition im Sinne immanenter, tiefster Komik zuschreibt. Der Däne Brandes zieht Holberg zum Vergleich heran. Er beschäftigt sich sehr genau mit der Kritik, die Wedekind an Ibsen geübt hat, und mit dem neuen paradoxen Dramatiker Gustav Wied, der Wedekind ähnle. So fügt sich aus internationaler Literaturgeschichte, Skepsis und witzigem Sinn für das Allzumenschliche ein unterhaltendes Bild.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 211, 26.4.1908, Sonntags-Ausgabe, S. (2)] zu sein. Deshalb bedaure ich jetzt,
daß ich nicht dabei warWedekind war längst nicht mehr in Berlin (siehe oben), als Georg Brandes am 25.4.1908 in der Philharmonie den vom „Morgen“ veranstalteten Vortrag über ihn gehalten hat (siehe unten).. Ich glaube ich hätte den Humor gehabt, um eine für uns Alle amüsante Unterhaltung daran zu
knüpfen. Ihnen sage ich meinen Dank. Ich verkenne durchaus nicht, was es für
mich bedeutet, daß Brandes überhaupt über mich sprichtDer Vortrag von Georg Brandes über Wedekind am 25.4.1908 in Berlin war zunächst allgemein angekündigt: „Professor Georg Brandes aus Kopenhagen hält am 25. April in der Philharmonie einen Vortrag über Frank Wedekind“ [Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 197, 16.4.1908, Abend-Ausgabe, S. (3)], dann speziell als Veranstaltung der von Artur Landsberger betreuten Zeitschrift: „NÄCHSTER VORTRAG DER WOCHENSCHRIFT ‚MORGEN‘ SONNABEND, den 25. April ‒ abends 8 ‒ Oberlicht-Saal der Philharmonie Georg Brandes über Frank Wedekind“ [Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 198, 17.4.1908, Morgen-Ausgabe, 3. Beiblatt, S. (3)], schließlich aktuell zum Termin: „Heute abend 8 Uhr spricht im Oberlichtsaal der Philharmonie Georg Brandes über Frank Wedekind“ [Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 209, 25.4.1908, Morgen-Ausgabe, S. (3)]..
Mit besten Grüßen Ihr Frank Wedekind
z.Z. München HauptpostlagerndWedekind, der seinen Wohnsitz noch in Berlin hatte, empfing seine Post postlagernd auf dem Postamt München 1 (Residenzstraße 2); dort befand sich die täglich geöffnete Abteilung „Postlagernde Sendungen“ [Adreßbuch für München 1907, Teil III, S. 103]..