Lieber
Baby!
Du wirst wol etwas erstaunt sein, beiliegend einen BriefDer beigelegte Brief Minna von Greyerz’ an Olga Plümacher ist nicht überliefert. Wie aus späterer Korrespondenz hervorgeht, gab Wedekind ihn an die Absenderin zurück, die ihn dann vernichtete [vgl. Minna von Greyerz an Wedekind, 8.5.1884]. an Deine „TanteOlga Plümacher, Jugendfreundin Emilie Wedekinds und von ihrem Sohn Frank Wedekind als ‚philosophische Tante‘ tituliert; sie war Vertreterin des philosophischen Pessimismus in der Tradition Arthur Schopenhauers und Eduard von Hartmanns und philosophische Schriftstellerin.“ vorzufinden. Ich weiß
selbst nicht was in mich gefahren ist, aber ich hatte so große Lust, einmal
einer geistreichen Dame, sei’s auch nur wegen einer Bagatelle zu schreiben. Das
kommt Dir nun sicherlich noch recht backfischmäßigveraltete Bezeichnung, für: pubertierend. vor u Du bist vielleicht etwas „baff“, wie Du Dich zu dieser
Sonderlichkeit Deiner sonderbaren Cousine zu stellen hast. | Allein, habe ich Dich in eine
jener „verhaßten“ Verlegenheiten gebracht, so bin ich es selbst, die Dir wiederum die
Skrupeln, die Du Dir darüber machen könntest, verscheucht.
Sieh, ich habe meine merkwürdige Begierde befriedigt, habe mich eine kl. Spange Zeitseltene Verwendung, statt: „Spanne Zeit“. mit der „großen Plümacher“ schriftlich
unterhalten. Wenn Du nun aber es für rathsamer findest, den Brief nachdem Du
ihn gelesen, nicht an sie abgehen zu lassen, so glaube mir, nehme
ich’s Dir nicht übel, im Gegentheil | danke ich Dir, daß Du mich dadurch vor
etwaiger „Blamage“ gerettet hast; denn Du weißt, ich habe das eben
Geschriebene nicht „kritisirt“, sondern wie mir’s der Augenblick eingab
hingeschmiert; ja leider geschmiert, wenn Du’s für nöthig erachtest, kannst Du
auch meine Schrift entschuldigen, wenn Du meine Zeilen wirklich ihr
zuschickst. Somit habe ich nun einen ganz angenehmen Winter-Sonntag-Nachmittag
verlebt und Du? Hast | gefaulenzt, geträumt, gespielt, gelesen gedichtet oder gar selbst auch an
sie „Tante Plümacher“ geschriebenOlga Plümacher hatte Wedekind nachweislich am 23.12.1883 und am 5.1.1884 geschrieben. Auf beide Briefe antwortete er [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 5.1.1884 und 20.1.1884], seine Briefe sind nicht überliefert.? Deine Zeit ist
allerdings recht ausgefüllt, SchulaufgabenNach den Weihnachtsferien (26.12.1883 – 3.1.1884) war für Wedekind das letzte Quartal seiner Schulzeit angebrochen, im März 1884 begannen die Maturaprüfungen [vgl. Programm der Aargauischen Kantonsschule für das Schuljahr 1883/84, S. 8]. in erster Linie, dann 2. „PrologWedekind schrieb einen „Prolog zur Abendunterhaltung der Kantonssschüler“, den er zu Beginn des Kantonsschülerfests am 1.2.1884 vortrug.“ 3. Brief an
„Tante Plümacher“ 4. der „WettgesangEin Wettgesang Wedekinds über das Cäcilienfest vom 9.12.1883 ist nicht überliefert.“ über’s Cäcilienfest 5. Briefe
an „BoreasBriefe Frank Wedekinds an seinen Bruder Armin Wedekind, der im Freundschaftsbund „Fidelitas“ den Namen des Windgotts ‚Boreas‘ führte und in Göttingen Medizin studierte, sind aus der Zeit vor 1884 nicht überliefert.“ u „GlanzpunktDie im Freundschaftsbund ‚Glanzpunkt‘ genannte Anny Barck, die Wedekind zu Weihnachten aus Freiburg im Breisgau geschrieben hatte [vgl. Anny Barck an Wedekind, 20.12.-21.12.1883], erhielt erst im Frühjahr seine Antwort [vgl. Wedekind an erst Anny Barck, 23.2.-12.3.1884].“, na ja, „Glückauf“! Hörst
Du es das b/B/lasen von um den/ie/ Thürmen, das Rauschen in den Bäumen,
das Heulen um die Ecken u dann wieder das sehnsuchtsvolle, langgedehnte Wehen?
Das sind die Grüße Deines „Sturmwinds“.