Sehr geehrter Herr Cassirer!
Ich danke Ihnen bestens für ü/Ü/bersendung des
ContraktesHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu einem Verlagsvertrag; erschlossenes Korrespondenzstück: Bruno Cassirer an Wedekind, 2.6.1904. Die Sendung hat Wedekind in München wohl am 3.6.1904 und damit zwei Tage zu spät erreicht (siehe unten). der aber leider zwei Tage zu spätDie langwierigen Verhandlungen mit Albert Langen, von dem Wedekind sich trennen wollte, hatten zu dem Vertrag mit dem Albert Langen Verlag geführt, von dem in diesem Brief die Rede ist. „Im Juni 1904 kam endlich ein neuer Kontrakt zustande.“ [KSA 8, S. 396] Die Unterzeichnung erfolgte am 1.6.1904, wie Wedekind an diesem Tag notierte: „Contrakt unterschrieben“ [Tb] ‒ zwei Tage vor dem Erhalt von Bruno Cassirers Brief mit beigelegtem Verlagsvertrag (siehe oben). kam. Ich hatte mich in der
Zwischenzeit wieder auf vier Jahre an Albert Langen verpflichtetDer von Wedekind am 1.6.1904 unterzeichnete Vertrag mit dem Albert Langen Verlag (von Reinhold Geheeb unterschrieben) betraf den Bühnenvertrieb von „Erdgeist“, „Der Kammersänger“, „Der Liebestrank“ und „Die junge Welt“ sowie „alle künftig erscheinenden Bühnenwerk seiner Feder“ und hielt fest: „Dieser Vertrag ist auf die Dauer von drei Jahren für beide Teile unkündbar.“ [Aa, Wedekind-Archiv E, Mappe 5] da was
ich schon deshalb thun mußte, weil es der einzige Weg war, den kündigungslosen
Vertragder Vertrag mit dem Albert Langen Verlag vom 2.5.1902 (unterzeichnet von Wedekind und Ludwig Thoma), der keine Kündigungsregelung enthält und in dem es heißt, „Herr Wedekind“ sei „nach wie vor verpflichtet, Herrn Albert Langen seine sämtlichen zukünftigen Arbeiten zum Verlage [...] anzubieten & dieselben zu überlassen, falls die Firma Albert Langen Anspruch darauf erhebt.“ [Aa, Wedekind-Archiv E, Nr. 3] den ich bisher mit ihm hatte, loszuwerden. Ich möchte Ihnen gegenüber
nun nicht gerne in den Verdacht kommen, als sei es mir mit meinem Anerbieten
vielleicht nicht Ernst gewesen. Den RomanDas Romanprojekt mit dem Arbeitstitel „Die große Liebe“ – angekündigt auch unter dem Arbeitstitel „Fanny Kettler“ [vgl. KSA 5/I, S. 1132], „ein moderner Roman: ‚Fanny Kettler‘ der einen Band von 200 bis 300 Seiten füllen wird“ [Wedekind an Albert Langen Verlag, Albert Langen, 1.9.1903] – hat Wedekind zwar nicht vollständig ausgeführt, er hat die Arbeit daran im Oktober 1906 aber wieder aufgenommen und bis März 1907 umfangreiche Aufzeichnungen dazu angefertigt [vgl. KSA 5/I, S. 1132-1143], die überliefert sind [vgl. KSA 5/I, S. 917-1011]. werde ich vor der Hand jedenfalls
nicht schreiben, da mir mein öffentliches AuftretenWedekind trat seinerzeit fast täglich im Münchner Kabarett Sieben Tantenmörder auf – zuerst am 16.5.1904: „Auftreten bei den Tantenmördern“ [Tb]; oder es kommt mit der Bemerkung „Wedekinds Selbsteinschätzung, statt als Romanautor als Dramatiker größere und damit seine Existenz als Schriftsteller sichernde öffentliche Erfolge erzielen zu können“ [KSA 5/I, S. 1132], zum Ausdruck. ein ausreichendes Einkommen
gewährt und ich in den nächsten Jahren voraussichtlich hauptsächlich auf diesem
Gebiete thätig sein werde.
Mit Dr. BraumüllerDr. jur. Fritz Braumüller in München (Adelgundenstraße 34) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1904, Teil I, S. 74], Dramaturg am Münchner Schauspielhaus [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 441], war seit der konstituierenden Sitzung des Vereins am 1.12.1903 der 1. Vorsitzende der Münchener Dramatischen Gesellschaft: „Dr. jur. Fritz Braumüller, Regisseur und Dramaturg am Münchener Schauspielhaus, erster Vorsitzender und provisorischer Schriftführer“ [Zum Programm der Münchener Dramatischen Gesellschaft. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 106, Nr. 346, 14.12.1903, 3. Abendblatt, S. 3]. habe ich bis jetzt noch nicht gesprochenUnklar ist, wann oder ob es überhaupt zu dem Gespräch mit Fritz Braumüller (siehe oben) kam. Wedekind notierte das nächste Treffen erst am 15.7.1905: „Torggelstube Herr und Frau Braumüller“ [Tb].;
daß der/ie/ Literarische GesellschaftDer Vereinsname legt zwar die Literarische Gesellschaft München nahe, deren 1. Vorsitzender Ludwig Ganghofer war (er hat sie 1897 gegründet); an deren Status als eingetragener Verein bestand kein Zweifel [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1903, Teil III, S. 129]. Allerdings legt der Zusammenhang mit Fritz Braumüller (siehe oben) nahe, dass Wedekind die Münchener Dramatische Gesellschaft meinte, mit der er finanzielle Angelegenheiten zu regeln hatte [vgl. Wedekind an Bruno Cassirer, 24.4.1904]. Eine Namensverwechslung könnte einerseits dadurch zustande gekommen sein, dass Wedekind gerade an die Freie literarische Gesellschaft in Frankfurt am Main schrieb oder geschrieben hat [vgl. Wedekind an Freie literarische Gesellschaft Frankfurt am Main, 7.6.1904], insofern aus Versehen eine Literarische Gesellschaft auf das Papier brachte, aber die Dramatische Gesellschaft im Sinn hatte, andererseits durch den Namenswechsel: „Ende November 1903 änderte ein [...] für das Münchner Theaterleben bedeutender Verein seinen Namen: Aus der ‚Münchner Litterarischen Gesellschaft‘ wurde die ‚Münchner Dramatische Gesellschaft‘.“ [Mayer 1982, S. 48] eine juristische Person ist,
scheint mir zweifellos. Und da die Aufführung nun | einmal stattgefundendie einmalige geschlossene Vorstellung am 29.3.1904 im Münchner Schauspielhaus, ein Gastspiel des Nürnberger Intimen Theaters, veranstaltet von der Münchener Dramatischen Gesellschaft, wie angekündigt war: „Wie wir erfahren, veranstaltet die Münchner ‚Dramatische Gesellschaft‘ Anfang nächster Woche im Schauspielhause eine Subskriptionsvorstellung, in welcher Frank Wedekinds ‚Büchse der Pandora‘ durch das Ensemble des ‚Intimen Theaters‘ in Nürnberg zur Aufführung gelangt.“ [Dramatische Gesellschaft. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 141, 24.3.1904, Morgenblatt, S. 3] Die Vorstellung „endet [...] mit einem Publikumseklat.“ [KSA 3/II, S. 1205] bin
ich natürlich auch dafür, daß man seine Rechte in vollstem Maße geltend macht.
Ich werde also, sobald ich Braumüller treffe, mit ihm sprechen und Ihnen dann
Bescheid geben.
Mit besten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.
7.VI 04.