Sehr geehrter Herr
Martens,
mein Programm für die Vorlesung am 26. NovemberWedekinds von der Literarischen Gesellschaft in Leipzig veranstaltete Lesung am 26.11.1897 wurde angekündigt: „In der Literarischen Gesellschaft in Leipzig, deren erster Gesellschafts-Abend nächsten Freitag, den 26. d. M., pünctlich 8 Uhr im oberen Saale des Hotel de Pologne stattfindet, wird zunächst der Kunsthistoriker Georg Fuchs einen Vortrag über die junge Bewegung im Kunstgewerbe halten [...]. Im zweiten Theile des Abends wird der Dichter Frank Wedekind Scenen der Kinder-Tragödie ‚Frühlings-Erwachen‘, sowie Einiges aus seiner grotesk-komischen Lyrik recitiren.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 91, Nr. 599, 24.11.1897, Morgen-Ausgabe, S. 8636] wäre folgendes:
1. Rabbi Esradie Erzählung „Rabbi Esra“ [KSA 5/1, S. 214-218], die Wedekind am 20.11.1896 auf einem Münchner Autorenabend schon einmal vorgetragen hatte [vgl. KSA 5/1, S. 765]; sie kam auch am 26.11.1897 in Leipzig (siehe oben) zum Vortrag [vgl. KSA 5/1, S. 765]..
2. Das Gastspielursprünglicher Titel des Einakters „Der Kammersänger“ (1899); eine Szene daraus kam am 26.11.1897 in Leipzig (siehe oben) zum Vortrag [vgl. KSA 4, S. 391f.]..
Sie warnen mich davorHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 27.10.1897., etwas Dramatisches vorzulesen. Leider besitze ich aber nichts novellistisches als was in der Fürstin Russalkain Wedekinds Sammelband „Die Fürstin Russalka“ (1897) im Albert Langen Verlag in München, in dem unter dem Titel „Seelenergüsse“ acht Erzählungen („Der Brand von Egliswyl“, „Rabbi Esra“ „Der greise Freier“, „Die Fürstin Russalka“, „Das Opferlamm“, „Die Liebe auf den ersten Blick“, „Bei den Hallen“, „Ich langweile mich“) abgedruckt sind [vgl. KSA 5/I, S. 604]. enthalten ist. Und zweitens bin ich so ziemlich sicher mit dem Gastspiel mindestens einen ebenso großen Erfolg zu haben, wie mit irgend etwas Novellistischem, da die | scenischen Bemerkungen kaum der Rede werth sind und das Stück genau genommen nur aus drei Dialogen besteht. Ich glaube, wenn Sie es durchblättern werden Sie dieselbe Überzeugung bekommen. Anstößiges findet sich nichts darin, allerdings auch nicht viel Poesie. Ich hätte weit dichterischere Sachen vorzulesen, wie mein SonnenspectrumWedekinds Dramenfragment „Das Sonnenspektrum. Ein Idyll aus dem modernen Leben“ [KSA 3/I, S. 669-708], das er bereits am 1.6.1896 einem kleineren Kreis in München vorlesen hatte [vgl. Wedekind an Max Halbe, 30.5.1896]., die aber für einen größeren unvorbereiteten Kreis entschieden zu stark sind.
Den Rabbi Esra, obwohl ihn vielleicht viele meiner Zuhörer kennen, würde ich doch gerne voranschicken, da er eine wirkungsvolle Entree-Nummer ist. |
Beide Stücke zusammen nehmen etwas länger als eine Stunde in Anspruch.
Ich lege Ihnen eine kleine Komödie „Die junge Welt“ beiDie dem Brief beigelegte Erstausgabe von Wedekinds Komödie „Die junge Welt“ (1897) bei W. Pauli’s Nachfolger (H. Jerosch) in Berlin [vgl. KSA 2, S. 646] enthält eine Widmung [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 28.10.1897]., die ich schon vor mehreren JahrenWedekinds Komödie „Die junge Welt“ ist eine Überarbeitung seines Lustspiels „Kinder und Narren“ (1891), mit der er 1895 begonnen hatte [vgl. KSA 2, S. 630]. geschrieben und die jetzt eben im Druck„Die junge Welt“ war soeben als erschienen angezeigt [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 248, 25.10.1897, S. 7743]. erscheint.
Da ich von dem Gastspiel nur das eine Manuscript„Das Gastspiel“ (siehe oben), das so betitelte Manuskript des soeben abgeschlossenen Einakters „Der Kammersänger“ (1899), ist „nicht erhalten.“ [KSA 4, S. 331] besitze, darf ich Sie ersuchen, es mir eingeschrieben und wenn möglich bald zurückschicken zu wollen.
Ich bitte Sie, mich auch Herrn Dr. HeineDr. phil. Carl Heine in Leipzig (Lampestraße 3), Direktor und Regisseur des Theaters der Literarischen Gesellschaft [vgl. Neuer Theater-Almanach 1898, S. 435]. bestens zu empfehlen und bin mit herzlichem Gruß in vorzüglichster Hochschätzung
Ihr
Frank Wedekind.
Dresden, Walpurgisstraße 14.II. – 28. Okt. 97.