Paris, 12.VII.1914.
Lieber Richard!
Darf ich Dich bitten, Deiner verehrten Frau GemahlinAenne Weinhöppel (geb. Hackenberg) aus Elberfeld, die dritte Ehefrau von Hans Richard Weinhöppel (Heirat am 27.7.1911 [vgl. Kölnische Zeitung, Nr. 836, 28.7.1911, 1. Morgen-Ausgabe, S. (4)] in Elberfeld, die Verlobung war von den Schwiegereltern „Köln, Pfingsten 1911“ [Kölnische Zeitung, Nr. 629, 4.6.1911, Sonntags-Ausgabe, 1. Blatt, S. (3)] angezeigt), Konzertsängerin in Köln, seine ehemalige Schülerin, mit der er gemeinsam auftrat: „Die Schülerin des bekannten Gesangmeisters H. R. Weinhöppel, Frl. Anna Hackenberg, sang, von ihrem Lehrer am Klavier begleitet“ [Kölnische Zeitung, Nr. 1143, 25.10.1910, 1. Morgen-Ausgabe, S. (2)]. Wedekind hat sie am 14.8.1911 in München kennengelernt: „Im Hofgarten treffe ich Weinhöppel mit Frau [...] Rathskeller mit Weinhöppel und Frau“ [Tb]. meiner Frau und mein herzlichstes BeileidWedekind kondolierte zum Tod des Schwiegervaters seines Freundes, der im Alter von 80 Jahren gestorben ist, wie aus der Todesanzeige hervorgeht (mitunterzeichnet von „Aenne Weinhöppel geb. Hackenberg“ und „Hans Richard Weinhöppel“): „Heute nacht entschlief [...] Herr Ernst Hackenberg im 80. Lebensjahre. [...] Köln-Lindenthal, 7. Juli 1914.“ [Kölnische Zeitung, Nr. 778, 7.7.1914, Mittags-Ausgabe, S. (3)] Die Beerdigung fand am 9.7.1914 in Elberfeld statt. zu dem schweren Verlust zu übermitteln, von dem sie betroffen wurde.
Mit großer Freude hörte ich von Deiner Panizza-AusgabeWedekind dürfte in der Presse die Ankündigung des Bandes „Visionen der Dämmerung“ (1914) gelesen haben: „Oskar Panizza, einer der genialsten und einer der am meisten vergessenen Vorläufer unserer modernen Literaturbewegung, soll in die Erinnerung der Lebenden zurückgebracht werden. Dies bedeutet nicht etwa, daß Panizza gestorben ist; nein, er lebt noch, aber seit zehn Jahren ist er ins Irrenhaus gesperrt. Nun will ein mutiger Münchener Verlag (Georg Müller) diesen starken und wilden Poeten, der vor Frank Wedekind schon dessen Straße ahnte, mit einem seiner merkwürdigsten Werke vor die Leser bringen. [...] Nur Bücherliebhaber erstehen die selten gewordenen Exemplare seiner Bücher zu hohen Preisen. Der zweifellos bedeutende Wert seiner Schöpfung hat deshalb Anlaß dazu gegeben, daß Hanns Heinz Ewers sich bemühte, von der Familie des Dichters die Erlaubnis zur Veranstaltung einer Neuauflage der phantastischen Geschichten, die der kranke Dichter unter dem Einfluß Edgar Allan Poes geschrieben hat, zu erhalten, was schließlich nach vieler Mühe gelang. Das Buch wird nun unter dein Titel ‚Visionen der Dämmerung‘ erscheinen und mit einer Einleitung von Hannes Ruch, dem geistigen Vater der ‚Elf Scharfrichter‘, der dem Münchener Freundeskreis Panizzas angehörte, und mit einem Nachwort von Ewers versehen sein.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 306, 19.6.1914, Abend-Ausgabe, S. (2)] Das Buch war mit dem Hinweis „Eingeleitet von Hannes Ruch und H. H. Ewers“ sowie „Mit Bildern von Paul Haase“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 81, Nr. 144, 25.6.1914, S. 5649] angekündigt und kurz darauf im Georg Müller Verlag in München als erschienen angezeigt [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 81, Nr. 159, 13.7.1914, S. 6090]. Es erschien als Band 3 der von Hanns Heinz Ewers herausgegebenen Reihe „Galerie der Phantasten“ mit einer von Hannes Ruch (Pseudonym von Hans Richard Weinhöppel) gezeichneten und auf „Köln, 17. April 1914“ datierten Einleitung „Wer ist Oskar Panizza?“ [Oskar Panizza: Visionen der Dämmerung. Einleitung von Hannes Ruch und 16 Bildern von P. Haase. München, Leipzig 1914 (= Galerie der Phantasten. Bd. 3), S. VII-XV] sowie mit einer von Hanns Heinz Ewers gezeichneten, auf „Montevideo (Uruguay), Mai 1914“ datierten Nachbemerkung „Zum Epilog: ein paar Worte des Herausgebers“ [S. 375-380]. und freue mich besonders über Deine gemeinsame Arbeit mit Hans Heinz Ewers. Hoffentlich gehen noch weitere Schöpfungen aus dieser Verbindung hervor.
Dieser TageWedekind war seit dem 2.7.1914 in Paris: „Ankunft in Paris“ [Tb], wo er ein umfangreiches touristisches Programm absolvierte; von den im Brief genannten Örtlichkeiten hat er nur das Moulin Rouge notiert (siehe unten). besuchte ich hier wiederholt die Stätten unserer einstigen WirksamkeitAnspielung auf den gemeinsamen Aufenthalt der Freunde im Frühjahr und Sommer 1892 in Paris [vgl. Tb].. Moulin RougeBesuche Wedekinds im Cabaret Moulin Rouge auf dem Montmartre (Boulevard de Clichy) sind 1892 mit dem Freund häufig gewesen [vgl. Tb]. Wedekind hat es bei seinem aktuellen Aufenthalt in Paris am 5.7.1914 – „Moulin Rouge Revue Je cache mon nu“ [Tb] – und 10.7.1914 – „Moulin Rouge Revue Cache ton Nue“ [Tb] – besucht und dort an beiden Abenden die von ihm erwähnte Revue „Cache ton nu“ (in 40 Bildern gespielt) gesehen; eine Szene des Stücks hatte aktuell zu einer Anklage wegen Verstoßes gegen die Sittlichkeit gegen den Direktor des Moulin Rouge Jean Fabert und eine seiner Künstlerinnen geführt [vgl. Pousuites contre deux music-halls. In: Le Figaro, Jg. 60, Nr. 190, 9.7.1914, S. 5]., Café VetzelWedekinds Besuch seinerzeit mit dem Freund im Café Vetzel (Rue Auber 1) ist durch seine Notiz vom 13.6.1892 dokumentiert: „Um ein Uhr kommt Weinhöppel. [...] Bis drei Uhr bleiben wir im Café Vetzel hinter der Oper.“ [Tb], Rue de Provence, Rue Gonmartinrecte: Rue de Caumartin.. Morgenam 13.7.1914, an dem Wedekind notierte: „Abfahrt von Paris“ [Tb]. fahre ich nach München zurück. Es wäre sehr schön, wenn Ihr dorthin kämtWedekind hat den Freund erst am 5.10.1915 in München wiedergesehen: „Weinhöppel Friedenthal und Martens zum Abendessen bis zwei Uhr“ [Tb], gemeinsam mit seiner dritten Gattin erst am 8.9.1916: „Weinhöppel mit Frau zu Besuch.“ [Tb]. Sollte es der Fall sein, dann laß es mich bitte rechtzeitig wissen.
Mit der Bitte, Frau Aenne meine ergebenste Empfehlung auszusprechen, und herzlichen Grüßen, Dein alter
Frank.