Lieber Frank!
Nachdem ich einige recht schlimme Tage durchgemacht, sah ich keinen andren
Ausweg als zu „Schall und Rauchdas Kleine Theater (Schall und Rauch) in Berlin (Unter den Linden 44) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 259], das im Jahr zuvor noch wie das Kabarett, aus dem es hervorgegangen ist, Schall und Rauch hieß [vgl. Neuer Theater-Almanach 1902, S. 263]. Direktor war nach wie vor offiziell Hans Oberländer (Max Reinhardt agierte im Hintergrund). Im Kleinen Theater hatte Wedekinds Tragödie „Erdgeist“ am 17.12.1902 mit Gertrud Eysoldt als Lulu Premiere (Regie: Max Reinhardt), eine äußerst erfolgreiche Inszenierung [vgl. KSA 3/II, S. 1203].“ zu gehen, wo mir Herr R.Edmund Reinhardt, enger Mitarbeiter seines älteren Bruders Max Reinhardt und als Bürochef (Colonie Grunewald, Fontanestr. 8) des Kleinen Theaters (Schall und Rauch) für die Kasse zuständig [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 259]. gerne 30 Mark auf
dein Conto ausbezahlte. Ich teile dir dies besonders mit, erstens, damit kein
Mißverständnis entsteht, zweitens um dir zu zeigen, daß ich gerne vorerst deine
Er|laubnis oder ganz einfach von dir selbst das Geld erbeten hätte, hätte nicht
der Zwang der Not auf mir geruht. Also nicht wahr, ich bin deiner
Entschuldigung sicher?
Heute Abenddie „Erdgeist“-Vorstellung am 16.1.1903 um 20 Uhr: „Kleines Theater. Unter den Linden 44, Anf. 8 Uhr, Erdgeist.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 32, Nr. 27, 16.1.1903, 1. Beiblatt, S. (3)] wird der „Erdgeist“ zum 25. Mal gegeben und ich fühle selber,
was für einen großen Schritt im äußeren Erfolg du vorwärts getan. Glaube mir,
daß ich mich ebenso
herzlich für dich freue wie alle deine andern Freunde. Ich traf neulich meinen
VerlegerNach dem Tod des Jenaer Verlegers Hermann Costenoble am 25.2.1901 führte dessen Schwiegersohn Richard Schröder seit September den Verlag unter Beibehaltung des Namens fort [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandels, Jg. 68, Nr. 247, 19.10.1901, S. 8411; Nr. 260, 7.11.1901, S. 9102] und siedelte einen Teil der Verlagsbuchhandlung in Berlin an: „Hermann Costenoble, Verl. Buchhdlg. u. Buchdruckerei, W57 Kurfürstenstr.8 […] Inh. Dr. Richard Schröder“ [Berliner Adreßbuch 1903, Teil I, S. 256]. Im Verlag Hermann Costenoble (Inhaber: Richard Schröder) in Berlin erschien im Frühjahr Donald Wedekinds Roman „Ultra montes“ [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 70, Nr. 43, 21.2.1903, S. 1483]., der mir versicherte, | in allernächster Zeit an die Drucklegung
meines Romans zu gehen. Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln. Daß er ihn nicht augenblicklich
erscheinen läßt, wußte ich schon, da Januar und Anfang Februar keine Zeiten für
buchhändlerische Unternehmer ernster Art sind. Damit, lieber Frank, sei
herzlich gegrüßt und empfange auch Grüße für alle meine Münchener Freunde von deinem treuen Bruder
Donald
Friedenau bei Berlin
6. Friedr.-Wilhelmplatz
am 16. Jan 1903