Vergleichsansicht

Bitte wählen Sie je ein Dokument für die linke und rechte Seite über die Eingabefelder aus.

Kennung: 4122

Lenzburg, 12. Dezember 1882 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Schibler, Oskar

Inhalt

Herzensgeliebter Oskar,

Du bist auf dem besten Wege, deine Sünden durch +/r/euiges Insichgehen zu sühnen. Dein lieber Briefvgl. Oskar Schibler an Wedekind, 5.12.1882. kommt mir vor, wie die plötzliche Explosion einer Pulvertonne, in der das bei der das Feuer lange Zeit geglommen hat. Mit aufrichtiger Freude sah ich, wie du die ganze Lastdurch eine verheiratete Frau (E.v.B.) in Aarau, mit der Oskar Schibler im Spätsommer 1882 eine Affäre hatte. Stück für Stück in logischer Reihenfolge von Deinem gemarterten Herzen wälzest und, wie der Phönix aus seiner AscheRedewendung für den Neuanfang nach einer großen Niederlage; (Mythologie) Phönix steht unter anderem für Auferstehung, Selbsterkenntnis, Unsterblichkeit., neugeboren aus den ErrinnerungenSchreibversehen, statt: Erinnerungen. an eine trübe Zeit emporsah ersteht. Ich gratulire Dir von ganzem/n/ Herzen zu Deinem glorreichen Sieg! |

Gar so kazzenjämmerlich brauchst du nun zwar auch nicht zu kagenSchreibversehen, statt: „klagen“.. Was deinen Ruf in Aarau anbelangt, so ist bist du erstens durch den ganzen Handel bekannt geworden, ein Vortheil, den man kaum in/au/f den ersten Blick in seiner ganzen Tragweite erkennen kann. Zweiter/ns/ ist der ganze Streich doch sehr originnellSchreibversehen, statt: originell., wird deiner Jugend wegen schon als entschuldigt und Jedermann wird sieht in solchen Fällen dem männlichen Theil viel mehr nach, als dem weiblichen. Um dich bei d/D/ir selber von allen üblen Folgen zu beeienfreien, so rathe ich d/D/ir als Freund, dich jetzt mit allen k/K/räften anzustrengen, den Liebeshandel von der lächerlichen Seite zu betrachten. Auf diese Weise könnte er dir am ersten gleichgültig werden. Wenn Du behauptestIm Folgenden bezieht sich Wedekind direkt auf Inhalt und Formulierungen von Oskar Schiblers Brief vom 5.12.1882., daß alle Schuld auf ihrer Seite liege, so | muß ich Dir aufrichtig gestehen, daß, ich solches kaum glauben kann; Du befindest dich jedenfalls in einer zwar nützlichen aber immerhin nicht wahrheitsgemäßen Selbsttäuschung. Jedenfalls war der Leichtsinn auf deiner Seite (Du sagst ja, verliebt seist Du nicht gewesen) ebenso groß, wie die Schlechtigkeit auf ihrer Seite. Daß das ganze Abenteuer Deiner Gemüthsverfassung einen gehörigen Stoß versetzt hat, glaube ich recht gern. Nur begreife ich nicht recht daß du dasselbe nicht schon längst, da es ja von Deiner Seite so großartig angelegt war (Egypten) zu einem interessanten Roman verwerthes/t/ hast. O, hätte ich solche Erfahrung, wie möchte meine Feder auf dem Papier hüpfen! Natürlich mußt du jetzt deinen Vorsatz, in Zukunft da die Sirene(griech. Mythologie) weibliches Fabelwesen; lockt durch ihren bezaubernden Gesang Schiffer, die sie dann tötet– hier in Anspielung auf den Mythos von Herakles am Scheideweg als Verkörperung lasterhaft-verderblicher Verführung gemeint [vgl. auch KSA 2, S. 540f.]. | links liegen zu lassen, mit aller Energie durchführen, und dich wo möglich wieder der alten, gemüthlichen, so oft von uns verspotteten, platonischen LiebeDer griechische Philosoph Platon unterscheidet 3 Arten der Liebe: agape (die begehrungslose), philia (die freundschaftliche), eros (die begehrende, erotische). Wedekind dürfte sich hier auf eine sich in der Epoche der Empfindsamkeit im 18. Jahrhundert entwickelnde Rezeptionslinie beziehen, in der zwischen einer auf das Sinnlich-Körperliche reduzierten und einer geistig-seelischen (platonischen) als einzig wahrer Liebe unterschieden wurde [vgl. auch Wedekind an Oskar Schibler, 24.10.1882]. zuwenden. Wenn sie auch in Wirklichkeit gar nicht besteht, so bietet sie doch eine angenehme Unterhaltung u ist für Leib u. Seele unschädlich.

Die weitere Besprechung des „Osiristempelsden von den beiden Freunden für das Jahr 1884 geplanten Almanach [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 11.11.1882]. versparen wir also auf die FerienOskar Schibler hatte nur die 4 Tage von Samstag, den 30.12.1882 bis Dienstag, den 2.1.1883 frei [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 5.12.1882].. Leider ist es mir immer noch unmöglich, dich in Solothurn zu besuchenEin Besuch Wedekinds in Solothurn war im Herbst 1882 wiederholt Thema in der Korrespondenz der Freunde.. Versparen wir dies Vergnügen noch ein Wenig! – Die Mahnung, deinen Brief aufzubewährenSchreibversehen, statt: aufzubewahren. – Die Mahnung ist nicht überliefert [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 5.12.1882]. war unnöthig, da ich je noch jede Zeile, die du mir seit unserer ersten Trennung schriebst, noch besitze. Also auf Wiedersehn
Dein Freund.
Franklin.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 18 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Seiten sind in Bleistift mit arabischen Ziffern durchnummeriert. Eine Abschrift befindet sich im Stadtarchiv Lenzburg im Nachlass Sophie Haemmerli-Marti. Signatur: III C 4b.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 12.12.1882 ist als Ankerdatum gesetzt. Wedekinds Brief datiert zwischen zwei Korrespondenzstücken Oskar Schiblers vom 5.12. und 17.12.1882. Als Schreibort kann der Wohnort angenommen werden.

  • Schreibort

    Lenzburg
    12. Dezember 1882 (Dienstag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Solothurn
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Aargauer Kantonsbibliothek

Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
Wedekind-Archiv B, Schachtel 12, Mappe 6, Slg. Oskar Schibler
Standort:
Aargauer Kantonsbibliothek (Aarau)

Danksagung

Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Oskar Schibler, 12.12.1882. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

02.03.2023 14:04
Kennung: 4122

Lenzburg, 12. Dezember 1882 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Schibler, Oskar
 
 

Inhalt

Herzensgeliebter Oskar,

Du bist auf dem besten Wege, deine Sünden durch +/r/euiges Insichgehen zu sühnen. Dein lieber Briefvgl. Oskar Schibler an Wedekind, 5.12.1882. kommt mir vor, wie die plötzliche Explosion einer Pulvertonne, in der das bei der das Feuer lange Zeit geglommen hat. Mit aufrichtiger Freude sah ich, wie du die ganze Lastdurch eine verheiratete Frau (E.v.B.) in Aarau, mit der Oskar Schibler im Spätsommer 1882 eine Affäre hatte. Stück für Stück in logischer Reihenfolge von Deinem gemarterten Herzen wälzest und, wie der Phönix aus seiner AscheRedewendung für den Neuanfang nach einer großen Niederlage; (Mythologie) Phönix steht unter anderem für Auferstehung, Selbsterkenntnis, Unsterblichkeit., neugeboren aus den ErrinnerungenSchreibversehen, statt: Erinnerungen. an eine trübe Zeit emporsah ersteht. Ich gratulire Dir von ganzem/n/ Herzen zu Deinem glorreichen Sieg! |

Gar so kazzenjämmerlich brauchst du nun zwar auch nicht zu kagenSchreibversehen, statt: „klagen“.. Was deinen Ruf in Aarau anbelangt, so ist bist du erstens durch den ganzen Handel bekannt geworden, ein Vortheil, den man kaum in/au/f den ersten Blick in seiner ganzen Tragweite erkennen kann. Zweiter/ns/ ist der ganze Streich doch sehr originnellSchreibversehen, statt: originell., wird deiner Jugend wegen schon als entschuldigt und Jedermann wird sieht in solchen Fällen dem männlichen Theil viel mehr nach, als dem weiblichen. Um dich bei d/D/ir selber von allen üblen Folgen zu beeienfreien, so rathe ich d/D/ir als Freund, dich jetzt mit allen k/K/räften anzustrengen, den Liebeshandel von der lächerlichen Seite zu betrachten. Auf diese Weise könnte er dir am ersten gleichgültig werden. Wenn Du behauptestIm Folgenden bezieht sich Wedekind direkt auf Inhalt und Formulierungen von Oskar Schiblers Brief vom 5.12.1882., daß alle Schuld auf ihrer Seite liege, so | muß ich Dir aufrichtig gestehen, daß, ich solches kaum glauben kann; Du befindest dich jedenfalls in einer zwar nützlichen aber immerhin nicht wahrheitsgemäßen Selbsttäuschung. Jedenfalls war der Leichtsinn auf deiner Seite (Du sagst ja, verliebt seist Du nicht gewesen) ebenso groß, wie die Schlechtigkeit auf ihrer Seite. Daß das ganze Abenteuer Deiner Gemüthsverfassung einen gehörigen Stoß versetzt hat, glaube ich recht gern. Nur begreife ich nicht recht daß du dasselbe nicht schon längst, da es ja von Deiner Seite so großartig angelegt war (Egypten) zu einem interessanten Roman verwerthes/t/ hast. O, hätte ich solche Erfahrung, wie möchte meine Feder auf dem Papier hüpfen! Natürlich mußt du jetzt deinen Vorsatz, in Zukunft da die Sirene(griech. Mythologie) weibliches Fabelwesen; lockt durch ihren bezaubernden Gesang Schiffer, die sie dann tötet– hier in Anspielung auf den Mythos von Herakles am Scheideweg als Verkörperung lasterhaft-verderblicher Verführung gemeint [vgl. auch KSA 2, S. 540f.]. | links liegen zu lassen, mit aller Energie durchführen, und dich wo möglich wieder der alten, gemüthlichen, so oft von uns verspotteten, platonischen LiebeDer griechische Philosoph Platon unterscheidet 3 Arten der Liebe: agape (die begehrungslose), philia (die freundschaftliche), eros (die begehrende, erotische). Wedekind dürfte sich hier auf eine sich in der Epoche der Empfindsamkeit im 18. Jahrhundert entwickelnde Rezeptionslinie beziehen, in der zwischen einer auf das Sinnlich-Körperliche reduzierten und einer geistig-seelischen (platonischen) als einzig wahrer Liebe unterschieden wurde [vgl. auch Wedekind an Oskar Schibler, 24.10.1882]. zuwenden. Wenn sie auch in Wirklichkeit gar nicht besteht, so bietet sie doch eine angenehme Unterhaltung u ist für Leib u. Seele unschädlich.

Die weitere Besprechung des „Osiristempelsden von den beiden Freunden für das Jahr 1884 geplanten Almanach [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 11.11.1882]. versparen wir also auf die FerienOskar Schibler hatte nur die 4 Tage von Samstag, den 30.12.1882 bis Dienstag, den 2.1.1883 frei [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 5.12.1882].. Leider ist es mir immer noch unmöglich, dich in Solothurn zu besuchenEin Besuch Wedekinds in Solothurn war im Herbst 1882 wiederholt Thema in der Korrespondenz der Freunde.. Versparen wir dies Vergnügen noch ein Wenig! – Die Mahnung, deinen Brief aufzubewährenSchreibversehen, statt: aufzubewahren. – Die Mahnung ist nicht überliefert [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 5.12.1882]. war unnöthig, da ich je noch jede Zeile, die du mir seit unserer ersten Trennung schriebst, noch besitze. Also auf Wiedersehn
Dein Freund.
Franklin.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 18 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Seiten sind in Bleistift mit arabischen Ziffern durchnummeriert. Eine Abschrift befindet sich im Stadtarchiv Lenzburg im Nachlass Sophie Haemmerli-Marti. Signatur: III C 4b.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 12.12.1882 ist als Ankerdatum gesetzt. Wedekinds Brief datiert zwischen zwei Korrespondenzstücken Oskar Schiblers vom 5.12. und 17.12.1882. Als Schreibort kann der Wohnort angenommen werden.

  • Schreibort

    Lenzburg
    12. Dezember 1882 (Dienstag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Solothurn
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Aargauer Kantonsbibliothek

Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
Wedekind-Archiv B, Schachtel 12, Mappe 6, Slg. Oskar Schibler
Standort:
Aargauer Kantonsbibliothek (Aarau)

Danksagung

Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Oskar Schibler, 12.12.1882. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

02.03.2023 14:04