Kennung: 618

München, 5. Januar 1912 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Harden, Maximilian

Inhalt

[1. Briefentwurf:]


Sehr geehrter Herr Harden.

Mit der Braut von Messina will es nicht vorwärts gehen. Das hat seinen guten Grund. Nach der Aufführung von Oaha glaubten Robert und ich die Polizei werde das Verbot aufheben, da sich kein Mensch gekränkt gefühlt hat. Die Polizei denkt aber nicht daran und das verursacht neue Scherereien. Diese Scherereien würden mich nun wol nicht hindern etwas für die Zukunft zu schreiben wenn ich einen ich aktuelleren aufregenderen Stoff als die Br. v. M hätte. Sie schlugen mir die Zensur vor. Was ich aber darüber schreibe ringe ich mir gleichfalls nur mit größter Überwindung ab und notzüchtige behellige dann lieber die Tagespresse damit. Für Proteste und Manifeste hat die Zukunft | wol ebenso wenig Sympatie wie ich selber, für den sie leider ein notwendiges Übel sind.

Nun giebt es aber sicher 100 Dinge über die zu schreiben mir die größte Freude und eine angenehme Zerstreuung wären. Nur glaube ich müßten Sie und ich wir uns über diese hundert Dinge einmal gründlich orientieren, über das was Ihnen willkommen wäre etc. Ich kann Ihnen nur soviel sagen, daß es mir die größte Freude wäre regelmäßig mit kleinen Beiträgen für die Zukunft zu arbeiten. Mit diesen Zeilen möchte ich Sie mir ersuchen mir mitzutheilen ob s/S/ie in den nächsten Tagen Woche dieser Woche in Berlin sind mich durch eine Carte wissen zu lassen und eine oder einige Stunden für mich Zeit übrig hätten oder ob es Ihnen besser paßt wenn ich erst nach Donnerstag komme. Ich würde dann | sämmtliche Notizen die ich habe zusammenpacken und dieses Material sowie andere Dinge die mich beschäftigen mit Ihnen wenn möglich kurz mit Ihnen durchsprechen. Darf ich mir also eine kurze Mitentscheidung von Ihnen erwarten ob Ihnen An eine Störung zu Anfang oder Ende der Woche weniger beschwerlich wäre.

Mit herzlichem Gruß
Ihr ergebener
FrW.


Soviel ich weiß ist paßt Ihnen für Besprechungen ja wol die Zeit nach ab Donnerstag eher besser als vorher Donnerstag. |

Darf ich eine kurze Mittheilung von Ihnen erwarten ob Sie diese Woche in Berlin sind. Soviel ich weiß würde Ihnen die Zeit Tage nach Donnerstag besser für eine eventueleSchreibversehen, statt: eventuelle. Besprechung passen als vorher. Ich möchte nur gerne sicher sein. Sehe ich Sie nicht etwa gänzlich zu verfehlen


[2. Abgesandter Brief:]


Sehr geehrter Herr Harden!

Mit der Braut von Messina will es nicht vorwärts gehenWedekind hatte, angeregt durch den Besuch einer Vorstellung von Friedrich Schillers Trauerspiel „Die Braut von Messina oder die feindlichen Brüder“ am 2.8.1909 – „Mit Tilly und Frau Durieux Braut von Messina“ [Tb] – im Münchner Künstlertheater in der Inszenierung Max Reinhardts, damit begonnen, vom 3. bis 7.8.1909 einen Aufsatz „Braut von Messina“ [KSA 5/II, S. 322-324] zu konzipieren [vgl. KSA 5/III, S. 108-111], den er nach der Aufforderung, einen Beitrag für die „Zukunft“ zu liefern [vgl. Maximilian Harden an Wedekind, 3.12.1911], wieder aufnahm [vgl. KSA 5/II, S. 428; KSA 5/III, S. 111-113], der aber Fragment blieb.. Das hat seinen guten Grund. Nach der Aufführung von „Oaha“ glaubten Dr. Robert und ich, die Polizei werde das VerbotDie von Eugen Robert, Direktor des Lustspielhauses in München [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 558], bei der Zensurbehörde beantragte öffentliche Aufführung von „Oaha“ war am 16.11.1911 abgelehnt worden; nachdem „Oaha“ am 20.12.1911 unter der Regie von Eugen Robert im Lustspielhaus als geschlossene Veranstaltung des Neuen Vereins uraufgeführt worden war, reichte Wedekind am 27.12.1911 bei der Polizeidirektion München erneut ein Gesuch um Freigabe für eine öffentliche Vorstellung ein, das am 10.1.1912 abgelehnt wurde [vgl. KSA 8, S. 606f.]. aufheben, da sich kein Mensch gekränkt gefühlt hat. Die Polizei denkt abSchreibversehen, statt: aber. nicht daran und das verursacht neue Scherereien. Diese Scherereien würden mich nun nicht hindern, etwas für die „Zukunft“ zu schreiben, wenn ich einen aktuelleren, fesselnderen | Stoff als die Braut von Messina hätte. Sie schlugen mir die Zensur selber vorvgl. Maximilian Harden an Wedekind, 3.12.1911.. Was ich aber darüber schreibe ringe ich mir erst recht nur mit größter Überwindung ab und behellige dann lieber die TagespresseWedekind hat der Tagespresse zuletzt seinen offenen Brief „Sieben Fragen an den Münchner Zensurbeirat“ [KSA 5/II, S. 426f.] angeboten, die ihn am 29.12.1911 druckte [vgl. Wedekind an Münchner Neueste Nachrichten, 28.12.1911]. damit. Für Proteste und Manifeste hat die „Zukunft“ wol ebenso wenig Sympathie wie ich selber, für den sie leider ein notwendiges Übel sind.

Nun giebt es aber sicher 100 Dinge, über die zu schreiben mir die größte Freude und eine anregende | Zerstreuung wäre. Nur glaube ich müßten Sie und ich uns über diese 100 Dinge einmal gründlich orientieren, über das was der „Zukunft“ willkommen wäre sowie darüber, wo mein Verständnis aufhört und ich nicht mitreden kann. Ich kann nur soviel sagen, daß es mir die größte Freude wäre, regelmäßig mit kleinen BeiträgenWedekind schickte dem Herausgeber der „Zukunft“ dann sein Lied „Mahnung“ [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 20.2.1912]. für die „Zukunft“ zu arbeiten.

Darf ich eine kurze Mittheilung von Ihnen erwarten, ob Sie diese WocheWedekind reiste am 10.1.1912 nach Berlin (am 14.1.1912 fuhr er zurück nach München) [vgl. Tb] und besuchte Maximilian Harden am 12.1.1912 (ein Freitag): „Besuch bei Harden.“ [Tb] in Berlin sind. Soviel ich weiß würden Ihnen die Tage nach Donnerstag besserMaximilian Harden „war Anfang der Woche stets sehr beschäftigt, da er dienstags das jeweilige „Zukunft“-Heft im Einmannbetrieb fertig redigierte.“ [Martin 1996, S. 55] Die Wochenschrift „Die Zukunft“ erschien, jeweils datiert auf den folgenden Samstag, immer freitags. Wedekind wusste, dass Maximilian Harden Verabredungen von Donnerstag bis Samstag besser passten [vgl. Walther Rathenau an Wedekind, 3.10.1905]. | für eine eventuelle Besprechung passen als vorher. Ich wäre nur gerne sicher Sie nicht etwa gänzlich zu verfehlen oder Ihnen in einem Augenblick großer Anstrengung lästig zu fallen.

Mit herzlichem Gruß
Ihr ergebener
Frank Wedekind.


München, Prinzregentenstraße 50

5.1.12Wedekind notierte am 5.1.1912: „Brief an Harden“ [Tb]..

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 6 Blatt, davon 9 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
1. Briefentwurf: Bleistift. 2. Abgesandter Brief: Feder. Tinte.
Schriftträger:
1. Briefentwurf: Liniertes Papier. Ringbuchblätter. 9 x 14,5 cm. 4 Blatt, 5 Seiten beschrieben. Gelocht. 2. Abgesandter Brief: Kariertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 22 cm. 2 Blatt, 4 Seiten beschrieben.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Briefentwurf befindet sich in der Aargauischen Kantonsbibliothek [Wedekind-Archiv B, Nr. 171], der wir für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe danken.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    5. Januar 1912 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
263-264
Briefnummer:
381
Kommentar:
Neuedition: Martin 1996, S. 97 (Nr. 57).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Bundesarchiv Koblenz

Potsdamer Straße 1
56075 Koblenz
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Maximilian Harden
Signatur des Dokuments:
Nr. 109
Standort:
Bundesarchiv Koblenz (Koblenz)

Danksagung

Wir danken dem Bundesarchiv Koblenz für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Maximilian Harden, 5.1.1912. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

23.10.2023 19:01