Sehr geehrter Herr Sternheim!
ich danke Ihnen sehr für
Zusendung des „Don Juan“Das an Wedekind übersandte Widmungsexemplar von Carl Sternheims Tragödie „Don Juan“, die bereits 1909 im Insel-Verlag (Leipzig) erschienen war, aber erst 1912 uraufgeführt wurde, ist nicht überliefert. Wenige Tage zuvor waren sich Wedekind und Sternheim am 22.1.1910 bei einer Abendgesellschaft, zu der die Sternheims in ihre Villa Bellemaison, in Höllriegelskreuth (Pullach) südlich von München gelegen, eingeladen hatten, erstmals persönlich begegenet. Wedekind notierte im Tagebuch: „Mit [Franz] Blei bei Sternheim.“ Nähere Hinweise zu den Gesprächsthemen des Abends, darunter auch Sternheims „Don Juan“, überliefert Thea Sternheims Tagebucheintrag: „Zum Abend kommen die Brüder [Alfred und Eugen] Feiks, Frau [Annemarie] Feiks, Rechtsanwalt [Siegfried] Adler, Blei und Frank Wedekind. | Wie sehr sympathisch ist Wedekind. Bedenklich, ruhig, sicher, liebenswürdig und bescheiden. Ohne die Allüre des Künstlers. Als er einmal von seinem ‚Frühlings Erwachen‘ spricht, fügt er bei: ‚Erlauben Sie, dass ich von so etwas rede.[‘] | Karl stürmt auf ihn ein, will um Gotteswillen eine Aussprache haben und begreift nicht, dass es Menschen gibt, die sich nicht äussern können, nicht äussern wollen. So steht der Ältere dem Jüngeren Rede, statt dass der Jüngere sich bescheide. Ich empfinde das als ein Unrecht, jedenfalls als Unzartheit; ich hätte Wedekind eine achtungsvollere Aufnahme gewünscht. Blei spielte den Mittler und verstand durch witzige und plötzliche Begütigungen Karls Wortschwall zu mildern. | Karl betonte immer wieder: [‚]Es ist an der Zeit, dass der Mann zu seinem Recht kommt! Seit zwanzig Jahren ist von nichts anderem als von der Frau die Rede. Die Frau aber interessiert gar nicht. Was kümmern uns diese hysterischen Ibsenschen Weiber? Keiner fragt nach ihnen. Seit Ewigkeit ist zu jeder ernsthaften Tat allein der Mann die Voraussetzung. Sehn Sie z.B. in meinem Don Juan ...‘“ [Tb Sternheim, Nr. 101 vom 23.1.1910, S. 63], ebenso für Ihre liebenswürdige Aufforderungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Sternheim an Wedekind, 27.1.1910. Das Ehepaar Sternheim hatte Frank und Tilly Wedekind sowie das Ehepaar Franz und Maria Blei für Sonntag den 30.1.1910 erneut in die Villa Bellemaison eingeladen. Im Tagebuch notierte Wedekind: „Mit Tilly bei Sternheims in Belle Maison Bley und Frau.“ Thea Sternheim schrieb am folgenden Tag in ihremTagebuch: „Reizender Abend mit Bleis und Wedekinds. Eine ungezwungene lebhafte Unterhaltung, wie ich mich keiner ähnlichen in diesem Hause entsinne. | Frau Wedekind mädchenhaft, bescheiden, zurückhaltend. Zwischen den Ehegatten muss ein bedeutender Alterunterschied bestehen. | Bleis Gedanken über die weisse Wäsche der Frauen. Wedekind kramt Simplizissimuserinnerungen aus, Karl ordnet sich dem allgemeinen Gespräch ein und ist diesmal rücksichtsvoll und zuvorkommend zu Wedekind. Man bleibt bis zum letzten Zuge.“ [Sternheim Tb/CD], der wir
gerne folgen werden. Wollen Sie Ihrer Frau Gemahlin unsere ergebensten
Empfehlungen aussprechen.
Mit besten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.
28.1.10.