In seiner Besprechung der Kammersänger-AufführungWedekinds Einakter „Der Kammersänger“ hatte zusammen mit der Szene „Rabbi Esra“ am 10.6.1907 im Rahmen seines Gastspiels am Kleinen Theater in Berlin (Direktion: Victor Barnowsky) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 262] Premiere; der Einakter wurde ungekürzt gespielt – mit Wedekind in der Hauptrolle des Gerardo. nennt Ihr
geehrter Herr ReferentMonty Jacobs, seit 1905 als Theaterkritiker für das „Berliner Tageblatt“ tätig, hat die Premiere des Einakters „Der Kammersänger“ (siehe oben) besprochen [vgl. M.J.: Kleines Theater. Gastspiel Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 290, 11.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. (3)]. In der Nachbemerkung zu Wedekinds offenem Brief ist er als „unser Referent“ [Ein Brief Frank Wedekinds. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 294, 13.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. (2)] bezeichnet. den Einakter meine „geschlossenste BühnenschöpfungZitat aus der Besprechung von Monty Jacobs, in der es heißt, Wedekind sei „einer unserer interessantesten Autoren und einer unserer mittelmäßigsten Schauspieler […]. Der ‚Kammersänger‘, Wedekinds geschlossenste Bühnenschöpfung, kann auch in unzulänglicher Verkörperung die Wirksamkeit seiner verblüffenden Einfälle nicht einbüßen. Gestern schien er freilich seltsam verwandelt, keine Farce mehr, sondern ein Trauerspiel mit Exzentrik-Einlagen. Zweifellos entspricht diese Wirkung den Absichten seines Schöpfers, der um jeden Preis ernstgenommen sein will, und der zum Leitmotiv die Dissonanz gewählt hat. Je mehr sich der Darsteller des Kontraktsklaven vor Mätzchen hütet, desto sicherer wird er sein Publikum überrumpeln. Aber Frank Wedekinds schauspielerische Zurückhaltung erscheint leider nicht wie ein freiwilliger Entschluß, sondern wie das Resultat technischer Hilflosigkeit. Eine ängstliche Starrheit des Mienenspiels und ein ruckweis herausgestoßenes Sprechen machen den Zuschauer nervös. Nüancen fehlen völlig, es sei denn, daß man den Wechsel von Weste und Hose in den Entkleidungsszenen dafür ansieht.“ [M.J.: Kleines Theater. Gastspiel Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 290, 11.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. (3)]“. Wie
es sich bis jetzt um die Geschlossenheit dieser Bühnenschöpfung
verhielt, dafür habe ich leider den drastischsten Beweis darin erhalten, daß
sich die Direktion des Deutschen TheatersMax Reinhardt, Direktor des Deutschen Theaters zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 258], seinerzeit Direktor des Neuen Theaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 245], wo er den „Kammersänger“ inszenierte (Premiere: 30.9.1903). seinerzeit genötigt gesehen hat, den
SchlußBei der „Kammersänger“-Inszenierung, die am 30.9.1903 am Neuen Theater in Berlin Premiere hatte, strich Max Reinhardt den Text nicht nur stark zusammen, sondern variierte den „als ‚Berliner Schluß‘ bekannt“ gewordenen Ausgang so, „daß das Stück im einheitlichen Stil der Komödie gespielt werden konnte […]. In dieser Fassung täuscht Helene ihren Selbstmord nur vor, um den Abgang Gerardos mit den Worten zu kommentieren: ‚Nicht einmal darauf reagiert dieser Dummkopf!‘“ [KSA 4, S. 393] des Stückes in sein entgegengesetztes Gegenteil umzukehren, und daß, um
die Aufführung zu ermöglichen, mehr als ein Dritteil des vorhandenen Textes
gestrichen werden mußte. Aus diesem dramatischen Wechselbalg, dessen
Darstellung so gewaltsame Korrekturen erforderte, ist nun auf einmal – nach dem
schmeichelhaften Ausdruck Ihres Herrn Referenten − meine geschlossenste
Bühnenschöpfung geworden. Nach Feststellung dieser Tatsache glaube ich das
Urteil darüber, ob meine Verkörperung der Titelrolle wirklich so himmelweit hinter
der bisherigen Darstellungsweise zurücksteht, ruhig dem geehrten Leser
überlassen zu dürfen.