Mein
lieber Frank,
es hat mir so herzlich leid getan, dass ich Dir durch mein KrankseinWedekind notierte am 27.4.1907 die „Hidalla“-Premiere im Rahmen des Ensemblegastspiels des Berliner Kleinen Theaters am Wiener Bürgertheater und die Erkältung seiner Frau: „Hidallapremiere im Bürgertheater in Wien. [...] Tilly ist erkältet“ [Tb]. Er spielte die Rolle des Karl Hetmann, sie die Rolle der Fanny Kettler [vgl. Neues Wiener Journal, Jg. 15, Nr. 4853, 27.4.1907, S. 14].,
die Freude an Deinem ErfolgeDie „Hidalla“-Premiere am Bürgertheater (siehe oben) war am Morgen danach in der Wiener Presse als das „bedeutungsvollste Theaterereignis der Saison“ bezeichnet worden und Wedekind fand großes Lob, seine Frau weniger: „Wedekind [...] warf seine klaren Sätze ins Parkett, scharf und schneidend, und über seinem starren Gesicht leuchteten die schönen, eindrucksvollen Augen. [...] Frau Newes-Wedekind war zu schwach für ihre schwere Aufgabe. Das Publikum bereitete dem Schauspiel eine stürmische Aufnahme und rief den Dichter oft vor den Vorhang.“ [Neues Wiener Journal, Jg. 15, Nr. 4854, 28.4.1907, S. 12] Felix Salten hat sie in seiner großen Besprechung nicht einmal erwähnt, Wedekind dagegen besonders gewürdigt; er sei „ein Dichter von einer bezwingenden, neuartigen Kraft. [...] Noch niemals hat Wedekind bei uns so viel Verständnis gefunden und so lauten Erfolg gehabt wie gestern.“ [Felix Salten: Frank Wedekind und „Hidalla“. In: Die Zeit, Jg. 6, Nr. 1649, 28.4.1907, Morgenblatt, S. 1-3] verdorben habe. Aber sieh mal, ich habe mir ja
selbst auch alles verdorben. Ich habe mich so darauf gefreut nach so langer
ZeitTilly Wedekind stand nach der Geburt ihrer Tochter Pamela Wedekind (12.12.1906) bei dem Wiener Gastspiel des Kleinen Theaters (siehe oben) zunächst (noch nicht erkältet) am 21.4.1907 in der Premiere von „Ghetto“ (das Stück von Herman Heijermans stand vor dem Wedekinds auf dem Programm), dann bei der Premiere von „Hidalla“ am 27.4.1907 (nun erkältet) erstmals wieder als Schauspielerin auf der Bühne. wieder eine Rolle zu spielen. Und dann kann ich kein Wort sprechen ohne dass
es mir weh tut.
Und die Erkältung an u. | für sich ist ja schließlich auch kein
so ausserordentliches Vergnügen. Ich hätte kein Wort darüber verloren, u. habe
Dich ja auch so wenig wie möglich damit belästigt. Aber Unliebenswürdigkeit
kannst Du mir nicht vorwerfen, wo ich mich ja so wie so immer entschuldige,
dass ich auf der Welt bin.
Lieber Frank, ich will Dir nicht weiter das Leben |
verbittern, alles scheitert an mir, immer bin ich die Spielverderberin. Ich
kann u. will nicht weiter denken, u. bitte Dich auch nicht mit mir darüber zu
sprechen.
Ich hab’ Dich zu lieb, um Dich unglücklich zu machen, u. kann’s
auch nicht ertragen in Deinen Augen immer mehr u. mehr zu verlieren.
Tilly |
Ich habe immer mein Bestes für Dich gegeben, Du sagst selbst,
ein Lump tut mehr als er kannZitat eines Aperçus von Wedekind, das in einem anderen Brief direkt von ihm belegt ist: „Ein Lump thut mehr als er kann.“ [Wedekind an Arthur Holitscher, 2.4.1907] Er hat es in der „Vorrede“ zu „Óaha“ (1909) wieder aufgegriffen: „Ein Lump thut mehr als er kann.“ [KSA 5/II, S. 313].