DR. KURT PINTHUS
Leipzig, Sidonienstr. 68, III RDr. phil. Kurt Pinthus wohnte in Leipzig in der Sidonienstraße 68, 3. Stock [vgl. Leipziger Adreßbuch 1913, Teil II, S. 343]; als Wedekind ihn am 29.11.1909 wohl erstmals in Leipzig sah: „Abendessen mit Hasenklever Pinthus und Hetzel im Ratskeller“ [Tb], war das noch nicht der Fall. Kurt Pinthus war ‒ wie Walter Hasenclever und Franz Werfel ‒ seinerzeit als Lektor im Kurt Wolff Verlag tätig, außerdem als Theaterkritiker beim „Leipziger Tageblatt“, dessen Verleger neuerdings Peter Reinhold war, Schwager von Kurt Wolff und Mitarbeiter in dessen Verlag.
Tel 20061
nachts 3 Uhrum 3 Uhr früh am 15.4.1913..
Sehr verehrter Herr Wedekind
Da ich aus unserer Unterhaltung heute NachtFrank Wedekind notierte am 14.4.1913 (Montag) in Leipzig: „Probe von Keith. [...] Nachmittag geschlafen. [...] Keithvorstellung. Weinkeller am Markt mit Martersteig Dr. Pinthus Hasenklever Franz Werffel“ [Tb]. Demnach war er nach der Vorstellung des „Marquis von Keith“ am Alten Stadttheater in Leipzig (Theaterplatz 2) am 14.4.1913 (Beginn: 20 Uhr, Ende: 23 Uhr), in der er die Titelrolle spielte und Tilly Wedekind als Gräfin Werdenfels zu sehen war, gemeinsam mit Max Martersteig (Intendant der Städtischen Theater), Kurt Pinthus, Walter Hasenclever und Franz Werfel entweder bei Fertsch & Simon (Markt 11) oder bei Erckel (Markt 4) [vgl. Leipziger Adreßbuch 1913, Teil III, S. 142]. Der Erinnerung von Kurt Pinthus zufolge soll Wedekind anschließend noch mit ihm, Walter Hasenclever und Franz Werfel in das Café Bauer (Roßplatz 6) gegangen sein (siehe die Hinweise zur Materialität). folgerte, dass
Ihnen der AufsatzDer Auftakt der Würdigung von Wedekind als Dramatiker lautet: „Frank Wedekind, ein Dichter von fast 50 Jahren, hat bislang 16 dramatische Werke geschrieben und ist von dem größten Teil der deutschen Nation bis zum heutigen Tage für einen Narren, für einen unflätigen Schweinekerl oder gar für einen strafbaren, unterdrückenswerten Verfasser unzüchtiger Pornographien erachtet worden.“ [Kurt Pinthus: Frank Wedekind. Glossen anläßlich seines Auftretens im Leipziger Stadttheater. In: Leipziger Tageblatt, Jg. 107, Nr. 184, 13.4.1913, Morgen-Ausgabe, S. 2] Der Aufsatz ist darauf angelegt, solche Urteile hinfällig erscheinen zu lassen. Er lag dem Brief wohl als Zeitungsausschnitt bei., den ich Ihnen zur Begrüssung und Belehrung der dummen
Leipziger geschrieben habe, nicht vor Augen gekommen ist, so erlaube ich mir,
Ihnen diesen | Aufsatz zuzusenden.
Eine Ergänzung zu diesem Versuch ist die heutige KritikIm Auftakt seiner ebenfalls beigelegten Besprechung knüpfte Kurt Pinthus an seinen Aufsatz (siehe oben) an: „Ueber das kraftvolle, bunte Phänomen, das den irdischen Namen Frank Wedekind trägt, ist in dieser Zeitung bereits gesprochen worden“ [Kurt Pinthus: Gastspiel Frank Wedekind und Frau im Alten Theater: Der Marquis von Keith. In: Leipziger Tageblatt, Jg. 107, Nr. 187, 15.4.1913, Morgen-Ausgabe, 2. Beilage, S. 9]. im
„Leipziger Tageblatt“, für die in der ich allerdings nur weniges sagen konnte, da ich diese Kritik erst
nach der Vorstellung übernahm, um den krank gewordenen Schauspielkritiker zu
vertreten.
Sie können sich, sehr verehrter Herr Wedekind, kaum eine
Vorstellung | machen von der Ehrfurcht, mit der wir drei jungen Menschen,Kurt Pinthus setzte hier in seiner maschinenschriftlichen Abschrift des Briefes (siehe die Hinweise zur Materialität) mit Bleistift die Fußnote „*Werfel und Hasenclever.“ Im Erstdruck ist an dieser Stelle „(Franz Werfel und Walter Hasenclever)“ eingefügt. die
heute mit Ihnen zusammen sassen, Ihre Werke betrachten. Und ich, als der Älteste dieser drei, die einsam
und missachtet die Leipziger Literatur darstellen, möchte Ihnen noch in tiefer
Nacht durch diese Zeilen unsere Verehrung ausdrücken.
Ihr ergebener
Kurt Pinthus