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Kennung: 903

Zürich, 12. November 1898 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Heine, Beate

Inhalt

[1. Druck:]


Zürich, 12.XI.1898.


Liebe, sehr verehrte Frau Doctor,

Ich komme erst heute dazu, Ihren lieben freundlichen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Beate Heine an Wedekind, 8.11.1898. zu beantworten und unter Verhältnissen, die mich zwingen, dieses unwürdige Papier zu benutzen. Ich hatte die letzten drei Tage so angestrengt zu arbeiten, daß mir keine Muße blieb, um etwas Erfreuliches zu denken, und das waren mir Ihre Zeilen im gleichen Maße, wie alles was noch in der Erinnerung an Sie, Ihren Herrn Gemahl und die bei Ihnen verlebte Zeit geblieben. Es war ein sehr harter Schlagdie Ereignisse seit Ende Oktober 1898, deren Abfolge Wedekind im vorliegenden Brief skizziert: Haftbefehl wegen Majestätsbeleidigung, Flucht in die Schweiz und damit vorläufig abruptes Ende seiner gerade begonnenen Karriere als Bühnenautor und Schauspieler., der mich in München traf. Ich fühle eigentlich das Bedürfnis, mich Herrn Doctor gegenüber zu rechtfertigen, da er doch der Begründer eines neuen LebensWedekinds durch Carl Heine Anfang 1898 (am Ibsen-Theater in Leipzig) begründete Karriere als Bühnenautor und Schauspieler; er war seitdem beruflich am Theater tätig und hatte diese Tätigkeit in München am Schauspielhaus fortsetzen können. für mich war. ‒

Die Thatsachen sind folgende: Weswegen ich die politischen LiederWedekind publizierte seit Sommer 1897 im „Simplicissimus“ (herausgegeben und verlegt von Albert Langen) jeweils unter dem Titel „Ein politisch Lied“ [KSA 1/I, S. 445, 448, 452, 457, 462, 466, 469, 480, 498] eine Reihe Gedichte [vgl. KSA 1/II, S. 2235], deren Titel wohl „in Anlehnung an ‚Faust I‘ (Auerbachs Keller; V. 2992) gewählt“ ist: „Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied“ [KSA 1/II, S. 1435]. fortsetzte, können Sie sich leicht denken, jedenfalls nicht aus Ueberzeugung. Am Dienstagam 25.10.1898, an dem die Beschlagnahmung des „Simplicissimus“-Heftes [Jg. 3, Nr. 31] mit Wedekinds Gedicht „Im heiligen Land“ [KSA 1/I, S. 499-501] (gedruckt unter dem Pseudonym Hieronymos) durch das Landgericht in Leipzig (Druckort des „Simplicissimus“, weshalb die sächsischen Justizbehörden für die Untersuchung des Straftatbestands der Majestätsbeleidigung zuständig waren) angeordnet wurde, der offizielle Auslieferungstag dieser Nummer. Noch am selben Tag wurde der Haftbefehl gegen den verantwortlichen Redakteur und Verleger Albert Langen und die beiden beteiligten Künstler, den Zeichner Thomas Theodor Heine (von ihm stammt die thematisch mit Wedekinds Gedicht korrespondierende Illustration des Titelblatts) und den noch anonymen Dichter (Frank Wedekind), wegen Majestätsbeleidigung (§ 95 des Reichstrafgesetzbuches) erlassen. In Leipzig wurde gemeldet: „Die neueste Nummer (31) der illustrierten Wochenschrift ‚Simplicissimus‘, Verlag von Albert Langen in München, ist wegen eines die Palästinareise des Kaisers behandelnden Gedichtes, betitelt ‚Im heiligen Land‘, in dem eine Majestätsbeleidigung enthalten sein soll, am 25. d.M. auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Leipzig in Leipziger Buchhandlungen und Restaurants polizeilich beschlagnahmt worden.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 250, 27.10.1898, S. 8022] Die „Münchner Neuesten Nachrichten“ zitierten am 27.10.1898 den Polizeibericht: „Nummer 31 des dritten Jahrganges des in Leipzig erscheinenden ‚Simplicissimus‘ wurde durch Beschluß des Untersuchungsrichters am k. Landgericht Leipzig vom 24. Oktober wegen Vergehens gegen § 95 R.-Str.-G.-B. (Majestätsbeleidigung), verübt in dem Gedichte ‚Im heiligen Lande‘, beschlagnahmt und die Beschlagnahme requisitionsgemäß auch hier vollzogen.“ [KSA 1/II, S. 1712] Der Albert Langen Verlag schaltete im Branchenblatt eine auf München, den 25.10.1898 datierte, „Simplicissimus“ überschriebene Anzeige: „No. 31 (Palästina-Nummer) wurde soeben von der Staatsanwaltschaft Leipzig aus wegen Majestätsbeleidigung in ganz Deutschland beschlagnahmt.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 250, 27.10.1898, S. 8031] erfolgte die Confiscation nebst Verhaftsbefehl. Ganz München kannte mich als Autor des Gedichtes. In der Zeit bis SamstagGerhart Hauptmanns Komödie „Der Biberpelz“ wurde am 25.10.1898 (Dienstag) und am 28.10.1898 (Freitag) am Münchner Schauspielhaus gespielt ‒ mit Wedekind in der Rolle des Privatgelehrten Dr. Fleischer, der wegen Majestätsbeleidigung verhaftet werden soll. spielte ich noch zweimal vor gutbesetztem Haus den Dr. Fleischer ‒ ein eigenthümliches Zusammentreffen von Umständender gleichzeitige Vorwurf der Majestätsbeleidigung in der Realität (der Haftbefehl gegen Wedekind als Autor des Gedichts „Im heiligen Land“ wegen Majestätsbeleidigung) und in der Fiktion (Wedekind steht in Hauptmanns Komödie „Der Biberpelz“ in der Rolle des Privatgelehrten Dr. Fleischer auf der Bühne, der wegen Majestätsbeleidigung verhaftet werden soll).. Woran die Erdgeistaufführung scheiterteDie Erstaufführung des „Erdgeist“ in München am 29.10.1898 im Münchner Schauspielhaus (Direktion: Georg Stollberg) mit Wedekind in der Rolle des Dr. Schön – die Vorstellung dauerte von 19.30 Uhr bis 22.15 Uhr [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 51, Nr. 501, 29.10.1898, General-Anzeiger, S. 1] und war ein Misserfolg [vgl. KSA 3/II, S. 1220f.], wie auch in Leipzig registriert wurde, wo das Stück erfolgreich uraufgeführt worden war. Ein „Fiasko erlebte in München das hier wohlbekannte Stück ‚Der Erdgeist‘ von Frank Wedekind, dessen vielfach auf der Spitze stehenden Situationen bei einer ungenügenden Darstellung ein lärmendes Fiasko machen mußten. Der Dichter ist jetzt bekanntlich nach Paris geflüchtet, nicht vor dem Münchner Publicum, sondern vor der Staatsanwaltschaft, welche eins seiner Gedichte in der Zeitschrift ‚Simplicissimus‘ wegen Majestätsbeleidigung angeklagt hat.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 92, Nr. 588, 20.11.1898, 4. Beilage, S. 8701], kann ich als Autor vielleicht nicht richtig beurtheilen. Lulu hatte einen bösen ZungenfehlerMilena (Lena) Gnad, Schauspielerin im Ensemble des Münchner Schauspielhauses [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 443], spielte in der Premiere von Wedekinds „Erdgeist“ am 29.10.1898 im Münchner Schauspielhaus (siehe oben) die Hauptrolle der Lulu., dazu kam die Bezeichnung „Tragödie“ auf der ich bestanden hatte; der dritte Akt hinkte, schleppte und fiel vollständig durch; die Kostüme waren sehr reich aber geschmacklos. Das übrige wissen Sie: Geheul, GejohlIn der Presse war zu lesen: „Man lachte, lachte aus vollem Halse und mit grausamer Schonungslosigkeit vom ersten bis zum letzten Akt.“ [Allgemeine Zeitung, Jg. 101, Nr. 302, 31.10.1898, S. 1]. Nach Schluß der Vorstellung ließ mir die Polizei durch einen Detectiv mittheilen, sie brauche nur noch zwei Tage, um den Autor des Gedichtes zu entdecken. In einer Gesellschaft von 30 Personen kneipten wir die Nachtnach der Münchner Premiere des „Erdgeist“ am 29.10.1898 (Samstag). durch in den fragwürdigsten Restaurants, am MorgenAufbruch von München frühmorgens am 30.10.1898 (Sonntag). brachten mich zwei Freunde zum Bahnhofe, um 11 Uhr war ich in Kufstein, um 4 Uhr in Innsbruck und am nächsten MorgenWedekind traf also am 31.10.1898 (Montag) um 8 Uhr morgens in Zürich ein. um 8 Uhr hier in Zürich, wo ich zwei Tage späterWedekind traf am 2.11.1898 (Mittwoch) in Zürich den ebenfalls geflohenen Verleger Albert Langen, der am 1.11.1898 (Dienstag) noch in St. Gallen war. Seiner Frau Dagny Björnson schrieb Albert Langen Anfang November 1898 über die Situation in Zürich: „Wedekind und ich sind natürlich beide hier signalisiert und ‚beobachtet‘. Nun, sie werden sich wohl bald davon überzeugen, daß wir keine Bomben fabrizieren.“ [Abret/Keel 1987, S. 194f.] mit Langen zusammentraf. Es war der Zusammenbruch eines ganzen großen Gebäudes, das ich mir für die Zukunft construirt, und es blieb mir die Aufgabe, die Trümmer nach Kräften zu verwerthen. Am zweiten Tage meines Hierseins begann ich ein neues StückWedekind begann am 1.11.1898 in Zürich mit der Niederschrift eines auf vier Akte angelegten Schauspiels „Ein Genußmensch“ [KSA 4, S. 47-76] (erhalten ist nur wenig mehr als der erste Aufzug), brach die Arbeit daran ab und schrieb es in neuer Konzeption dann in Paris unter dem Titel „Ein gefallener Teufel“ fort, die Urfassung des „Marquis von Keith“ [vgl. KSA 4, S. 411-413]., dessen ersten Act ich heute zu beenden hoffe. Es sind jetzt 4 Jahre her, seit ich nicht mehr in Muße arbeiten konnte, und hier arbeitet es sich famos. Langen muß für meinen Lebensunterhalt sorgen und thut es in unbeschränkter Weise; dafür habe ich alle acht Tage ein GedichtAlbert Langen berichtete seiner Frau Dagny Björnson Anfang November 1898 aus Zürich über Wedekinds Gedichtproduktion [vgl. Abret/Keel 1987, S. 193-196], deren Druck im „Simplicissimus“ aber vorerst weitgehend unterblieb. zu machen. Der Grund, weswegen ich mich der Verhaftung entzogen, ist vor allem der, daß es mir von der Polizei als selbstverständlich nahe gelegt wurde. Ich dachte mir, die müssen es ja am besten wissen. Zweitens der, daß ich keine Papiere hatte und bei der Gerichtsverhandlung eventuell noch sonstige Unannehmlichkeiten hätte haben können. Jetzt hoffe ich das Unglück dazu auszunützen, endlich einmal zu einem geordneten Nationalitätsverhältnis zu gelangen. Es ist ja nicht meine Schuld, daß ich es bis jetzt nicht gehabt habe. Aber die Herren in Leipzig werden nun schon herausklauben, welcher NationalitätWedekind war amerikanischer Staatsbürger. In den älteren Eintragungen des polizeilichen Meldebogens steht unter „Geburtsort“ irrtümlich „San Francisco“ (statt richtig: Hannover), unter „Heimat: San Francisco Vereinigte Staaten“ sowie zutreffend unter „Staatsangehörigkeit: Nord-America“ [EWK/PMB Wedekind]. ich angehöre. Der dritte Grund war der heiße sehnlichste Wunsch, endlich mal wieder in Ruhe etwas arbeiten zu können. Nun kommt noch etwas dazu. Durch die Katastrophe bin ich auf dem besten Wege, in intime Beziehungen zur intimen Politik zu treten. Aus dem Tauschprozeßder Prozess gegen den in der politischen Abteilung der Berliner Geheimpolizei leitend tätigen Kriminalkommissar Eugen von Tausch vom 24.5.1897 bis 5.6.1897 vor dem Schwurgericht des Landgerichts I in Berlin, der großes Aufsehen erregt hatte. Er endete zwar mit einem Freispruch für den Kriminalkommissar, der angeklagt war, Verbrechen im Amt sowie Meineid begangen und „gegen die jetzige Regierung in schmählichster Weise intriguirt zu haben“ [Pester Lloyd, Nr. 119, 24.5.1897, Abendblatt, Beilage, S. (2)], indem er jahrelang eigenmächtig Journalisten – darunter Ernst Normann-Schumann (siehe unten) – für die Verbreitung von Gerüchten gewonnen hatte, um gegen die Politik des Kaisers Stimmung zu machen, Eugen von Tausch selbst war aber durch den Skandalprozess diskreditiert und mit ihm der preußische Polizeiapparat mit seiner intriganten Pressepolitik. Die Affäre markiert eine Staatskrise und wurde als ein politischer Skandal wahrgenommen. erinnern Sie sich vielleicht des „berüchtigtenin der Berichterstattung über Ernst Normann-Schumann (siehe unten) das stereotyp benutzte Adjektiv; er wurde in der Presse durchgehend charakterisiert als der „berüchtigte Normann-Schumann“ [Neue Freie Presse, Nr. 11764, 24.5.1897, Abendblatt, S. 2; Arbeiter-Zeitung, Jg. 9, Nr. 143, 25.5.1897, Morgenblatt, S. 6; General-Anzeiger für Hamburg-Altona, Jg. 10, Nr. 125, 30.5.1897, S. 1; Berliner Tageblatt, Jg. 26, 275, Nr. 2.6.1897, Morgen-Ausgabe, S. (2)].Herrmann Schumannrecte: Normann-Schumann. Der Journalist und Polizeiagent Ernst Normann-Schumann konnte im Prozess gegen den Kriminalkommissar Eugen von Tausch (siehe oben) nicht vernommen werden, da er sich ins Ausland abgesetzt hatte (in die Schweiz, wie sich später herausstellte). Er stand im Ruf, ein Hochstapler zu sein, galt aber zugleich als gefährlich. „Unter den Agenten der politischen Polizei war der berüchtigte, zur Zeit des Tausch-Processes nirgends auffindbare Normann-Schumann der gefährlichste.“ [Normann-Schumann. In: Grazer Tagblatt, Jg. 7, Nr. 160, 11.6.1897, Abend-Ausgabe, S. 1] Der Enthüllungsjournalist, der vor allem in Pariser Zeitungen für das Auswärtige Amt peinliche Artikel zur deutschen Politik veröffentlicht hatte, lebte inzwischen in Luzern und wurde in Preußen steckbrieflich wegen Majestätsbeleidigung gesucht: „Einen Steckbrief gegen Normann-Schumann erläßt der Untersuchungsrichter bei dem hiesigen Landgericht I. Das amtliche Schriftstück lautet: ‚Gegen den unten beschriebenen Schriftsteller Wilhelm Friedrich Ernst Schumann, genannt Normann-Schumann, [...] welcher flüchtig ist, ist [...] die Untersuchungshaft wegen wiederholter Majestätsbeleidigung verhängt. [...] Beschreibung: Alter: 44 Jahre. Statur: schlank. Größe: 1 Meter 75 Centimeter. Haare: dunkel.‘“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 261, 25.6.1897, Morgen-Ausgabe, S. 10] Sein Image illustriert folgender Bericht über ihn aus Berlin: „Normann-Schumann, der berüchtigte jurnalistische Hochstapler, lebt jetzt herrlich und in Freuden in Luzern. Dort haben ihn Bewohner seines früheren Wohnortes Zehlendorf gesehen und gesprochen, und ihnen gegenüber hat er sich als völlig harmloser Mensch und als ein Opfer von Verdächtigungen und Verleumdungen hingestellt. Normann-Schumann macht auch in Luzern einen großen Aufwand, bewohnt mit seiner Frau seine eigene, fürstlich eingerichtete Villa und prahlt noch immer mit seiner Kenntniß von allerlei Staatsgeheimnissen, die, wenn er plaudern könnte, die Welt in Staunen setzen würden.“ [Neues Wiener Journal, Nr. 1873, 19.8.1897, S. 4]. Ich werde den Herrn in den nächsten Tagen kennen lernenmöglicherweise in Anspielung auf die eigene Situation sarkastisch gemeint; ein Treffen Wedekinds mit dem ebenfalls wegen Majestätsbeleidigung gesuchten und in die Schweiz geflohenen Ernst Normann-Schumann (siehe oben) ist nicht belegt.. Damit eröffnet sich mir eine neue Welt, auf die ich mich, so gefahrvoll sie erscheinen mag, von ganzem Herzen freue. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, verehrte Frau, daß es mir nicht einfallen kann, mich auf unsaubere Missionen einzulassen. Ich hoffe, daß Sie mir das Vertrauen entgegenbringen, ich würde sonst nicht so offen sprechen. Aber die Fäden, die hier zusammenlaufen, sind wichtiger als man in Deutschland glaubt. Deswegen bin ich auch meiner Rückkehr nach Deutschland wegen ganz außer Sorge, erfolgt sie nun durch Abbüßung der Strafe oder auf irgend einem anderen Wege. Hätte ich mich verhaften lassen, so müßte ich in Leipzig aussagen, daß ich die GedichteNeben dem inkriminierten Gedicht „Im heiligen Land“ in Nr. 31 des „Simplicissimus“ (siehe oben) handelte es sich ferner um das Gedicht „Meerfahrt“ in der nächsten Ausgabe. „Das in der Nummer 32 des ‚Simplicissimus‘ enthaltene Gedicht ‚Die Meerfahrt‘, das von dem Schriftsteller Frank Wedekind verfaßt ist, enthält in seiner Schlußstrophe eine Beleidigung des deutschen Kaisers.“ [Prozeß gegen den „Simplicissimus“. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 295, 21.12.1898, S. 9787] ganz gegen meine Ueberzeugung geschrieben habe und in gar keinem moralischen Zusammenhang mit meinem Vergehen stehe. Das mag ich nicht, es wäre mir eine sehr unangenehme Blamage und deshalb in erster Linie lasse ich die Herren mich ohne meine Mitwirkung verurtheilenDer Majestätsbeleidigungsprozess ‒ gegen den Zeichner Thomas Theodor Heine (und wegen Fahrlässigkeit gegen die Leipziger Drucker) ‒ fand am 19.12.1898 vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Leipzig statt (Beginn 9 Uhr morgens): „Die Oeffentlichkeit war auf die gesamte Dauer der Verhandlung ausgeschlossen. Die Verhandlung nahm 3½ Stunden in Anspruch. Mittags ½1 Uhr zog sich der Gerichtshof zur Beratung zurück. Die Urteilsverkündung erfolgte um ¾2 Uhr nachmittags. Es sind verurteilt worden: Heine wegen Majestätsbeleidigung in zwei Fällen mit sechs Monaten Gefängnis und die beiden mitangeklagten Buchdrucker, die infolge der Flucht des Verfassers Wedekind und des Verlegers Langen nach § 21 des Preßgesetzes zur Verantwortung herangezogen wurden, zu je 300 M Geldstrafe. Die Kosten des Verfahrens haben die Angeklagten zu tragen.“ [Prozeß gegen den „Simplicissimus“. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 295, 21.12.1898, S. 9787]. Aber nun zu Ihnen. Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für das liebe Anerbieten, was Sie mir gemacht haben. Sie sehen, verehrte Frau, ich brauche es nicht; aber wer weiß, es kann die Zeit kommen, wo ich Sie daran erinnern werde. Ich sage Ihnen meinen, herzlichen aufrichtigen Dank. Es war das einzige derartige Anerbieten, das mir auf mein Mißgeschick hin zutheil wurde.

Daß ich Herrn Doctors freundliche Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Carl Heine an Wedekind, 25.10.1898. Carl Heine dürfte Wedekind von seinem neuen Wirkungskreis, dem Carl Schultze-Theater in Hamburg (siehe unten), berichtet haben. bis heute nicht beantwortet, wird er mir verzeihen. Ich erhielt sie drei Tage vor der Premiere und so sehr ich mich über die Nachrichten freute, wollte ich zuerst das Ereignis abwarten. Nun sende ich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihren Erfolgen und zu dem Wirkungskreisdas Carl Schultze-Theater (Direktion: José Ferenczy) in Hamburg, wo Carl Heine mit „Die Wildente“ von Henrik Ibsen am 14.10.1898 noch mit dem Ibsen-Theater eine erfolgreiche Gastspielpremiere hatte; er wurde dort wohl unmittelbar darauf als Oberregisseur und artistischer Leiter engagiert [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 367] und zog nach Hamburg (Eichenallee 11) [vgl. Beate Heine an Wedekind, 20.12.1898], wohin der vorliegende Brief adressiert gewesen sein dürfte., der Herrn Doctor hoffentlich ungehindert Gelegenheit giebt, sich auszuleben und seinem Streben entsprechend künstlerisch zu arbeiten. Meine besten Wünsche sind noch bei Ihnen. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß Sie Erfolg haben, wiewol ich keine Zeitungen gelesen, keine Nachrichten empfangen habe; gegen ZeitungslesenDie Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“ war in der Presse stark präsent. habe ich augenblicklich eine kleine Aversion. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, liebe verehrte Frau, wenn Sie mir schreiben und unsere Beziehungen nicht erlöschen lassen wollten. An mir wird es gewiß nicht fehlen. Grüßen Sie Herrn Doctor aufs herzlichste, sagen Sie ihm meine besten Wünsche und die Versicherung meiner unwandelbaren herzlichen Freundschaft. Ihnen, verehrte Frau, herzlichen Dank für Ihre Mittheilungen, für Ihre Sympathie von Ihrem Ihnen treu ergebenen
Frank Wedekind.


P.S. Würden Sie bitte darauf achten, daß von diesen Zeilen nichts in die Oeffentlichkeit sikertrecte: sickert., da mich das bei Langen arg discreditiren könnte. Ich selber vermeide es peinlich, irgend eine Zeitungsnachricht zu dementiren, da es in meinem Interesse liegt, daß man so wenig wie möglich Positives über mich weiß.

Verwehren Sie mir daher die Bitte nicht, außer unseren Intimen niemandem etwas über mich zu sagen, wenigstens nichts Bestimmtes.

‒ Nächstens wird „Schwigerling„Fritz Schwigerling“ war der ursprüngliche Titel von Wedekinds Stück „Der Liebestrank“ [vgl. KSA 2, S. 997], das unter dem Titel „Der Liebestrank. Schwank in drei Aufzügen“ [KSA 2, S.1004] 1899 im Albert Langen Verlag erschien. Den Vertrag hierüber und für ein weiteres Stück hat Wedekind am 18.11.1898 in Zürich mit Albert Langen geschlossen (siehe unten).“ und „Gastspiel„Das Gastspiel“ war der ursprünglich vorgesehene Titel von Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ [vgl. KSA 4, S. 323], der unter dem Titel „Der Kammersänger. Drei Scenen“ [KSA 4, S. 332] erschien – im Frühjahr 1899 als Neuerscheinung im Albert Langen Verlag in München angezeigt [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 52, 4.3.1899, S. 1742]. In dem Vertrag, den Wedekind am 18.11.1898 in Zürich mit Albert Langen abschloss, heißt es zu diesem und einem weiterem Stück (siehe oben): „§ 3. Herr Langen nimmt die beiden dramatischen Werke Wedekinds ‚Ein Gastspiel‘ und ‚Der Liebestrank‘ in Verlag und ‚Ein Gastspiel‘ unter den allgemein üblichen Bedingungen (10% der Tantiemen-Eingänge) auf in seinen Bühnenvertrieb. Von dem Reingewinn erhält Herr Wedekind die Hälfte.“ [Mü, PW B 89]“ bei Langen im Verlag erscheinen.

Beste Grüße an HenzeMax Henze war Schauspieler an dem von Carl Heine geleiteten Theater der Literarischen Gesellschaft in Leipzig [vgl. Neuer Theater-Almanach 1898, S. 435], dem Ibsen-Theater. Er hatte bei der Leipziger Uraufführung des Schwanks „Der Liebestrank“ die Hauptrolle des Fritz Schwigerling gespielt. Er folgte Carl Heine nach Hamburg als Schauspieler an das Carl Schultze-Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 367]..


[2. Zitat in J. A. Stargardt: Katalog 695 (2011), Nr. 232:]


Weswegen ich die politischen Liederfortsetzte, können Sie sich leicht denken, jedenfalls nicht aus Überzeugung. Am Dienstag erfolgte die Confiscation nebst Verhaftsbefehl. Ganz München kannte mich als Autor des Gedichtes ... In der Zeit bis Samstag spielte ich noch zwei Mal vor gutbesetztem Haus den Dr. Fleischer ‒ ein eigenthümliches Zusammentreffen von Umständen. Woran die Erdgeistaufführung scheiterte, kann ich als Autor vielleicht nicht richtig beurteilen.  Lulu hatte einen bösen Zungenfehler, dazu kam die Bezeichnung „Tragödie“ auf der ich bestanden hatte; der dritte Akt hinkte, schleppte und fiel vollständig durch; die Kostüme waren sehr reich aber geschmacklos. Das übrige wissen Sie: Geheul, Gejöhl. Nach Schluß der Vorstellung ließ mir die Polizei durch einen Detectiv mittheilen, sie brauche nur noch zwei Tage, um den Autor des Gedichtes zu entdecken. In einer Gesellschaft von 30 Personen kneipten wir die Nacht durch ..., am Morgen brachten mich zwei Freunde zum Bahnhofe, um 11 Uhr war ich in Kuffstein, um 4 Uhr in Innsbruck und am nächsten Morgen um 8 Uhr hier in Zürich, wo ich zwei Tage später mit Langen zusammentraf. Es war der Zusammenbruch eines ganzen großen Gebäudes, das ich mir für die Zukunft construirt und es blieb mir die Aufgabe, die Trümmer nach Kräften zu verwerthen. Am zweiten Tage meines Hierseins begann ich ein neues Stück, dessen ersten Act ich heute zu beenden hoffe. Es sind jetzt 4 Jahre her, seit ich nicht mehr in Muße arbeiten konnte, und hier arbeitet es sich famos. Langen muß für meinen Lebensunterhalt sorgen und thut es in unbeschränkter Weise; dafür habe ich alle acht Tage ein Gedicht zu machen. Der Grund weswegen ich mich der Verhaftung entzogen ist vor allem der, daß es mir von der Polizei als selbstverständlich nahe gelegt wurde. Ich dachte mir, die müssen es ja am besten wissen [...]

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck zugänglich. Die Existenz des Originals ist verbürgt [vgl. J. A. Stargardt: Katalog 695 (2011), Nr. 232].

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Zürich
    12. November 1898 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Zürich
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Hamburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
314-318
Briefnummer:
145
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Beate Heine, 12.11.1898. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

08.03.2024 12:30
Kennung: 903

Zürich, 12. November 1898 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Heine, Beate
 
 

Inhalt

[1. Druck:]


Zürich, 12.XI.1898.


Liebe, sehr verehrte Frau Doctor,

Ich komme erst heute dazu, Ihren lieben freundlichen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Beate Heine an Wedekind, 8.11.1898. zu beantworten und unter Verhältnissen, die mich zwingen, dieses unwürdige Papier zu benutzen. Ich hatte die letzten drei Tage so angestrengt zu arbeiten, daß mir keine Muße blieb, um etwas Erfreuliches zu denken, und das waren mir Ihre Zeilen im gleichen Maße, wie alles was noch in der Erinnerung an Sie, Ihren Herrn Gemahl und die bei Ihnen verlebte Zeit geblieben. Es war ein sehr harter Schlagdie Ereignisse seit Ende Oktober 1898, deren Abfolge Wedekind im vorliegenden Brief skizziert: Haftbefehl wegen Majestätsbeleidigung, Flucht in die Schweiz und damit vorläufig abruptes Ende seiner gerade begonnenen Karriere als Bühnenautor und Schauspieler., der mich in München traf. Ich fühle eigentlich das Bedürfnis, mich Herrn Doctor gegenüber zu rechtfertigen, da er doch der Begründer eines neuen LebensWedekinds durch Carl Heine Anfang 1898 (am Ibsen-Theater in Leipzig) begründete Karriere als Bühnenautor und Schauspieler; er war seitdem beruflich am Theater tätig und hatte diese Tätigkeit in München am Schauspielhaus fortsetzen können. für mich war. ‒

Die Thatsachen sind folgende: Weswegen ich die politischen LiederWedekind publizierte seit Sommer 1897 im „Simplicissimus“ (herausgegeben und verlegt von Albert Langen) jeweils unter dem Titel „Ein politisch Lied“ [KSA 1/I, S. 445, 448, 452, 457, 462, 466, 469, 480, 498] eine Reihe Gedichte [vgl. KSA 1/II, S. 2235], deren Titel wohl „in Anlehnung an ‚Faust I‘ (Auerbachs Keller; V. 2992) gewählt“ ist: „Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied“ [KSA 1/II, S. 1435]. fortsetzte, können Sie sich leicht denken, jedenfalls nicht aus Ueberzeugung. Am Dienstagam 25.10.1898, an dem die Beschlagnahmung des „Simplicissimus“-Heftes [Jg. 3, Nr. 31] mit Wedekinds Gedicht „Im heiligen Land“ [KSA 1/I, S. 499-501] (gedruckt unter dem Pseudonym Hieronymos) durch das Landgericht in Leipzig (Druckort des „Simplicissimus“, weshalb die sächsischen Justizbehörden für die Untersuchung des Straftatbestands der Majestätsbeleidigung zuständig waren) angeordnet wurde, der offizielle Auslieferungstag dieser Nummer. Noch am selben Tag wurde der Haftbefehl gegen den verantwortlichen Redakteur und Verleger Albert Langen und die beiden beteiligten Künstler, den Zeichner Thomas Theodor Heine (von ihm stammt die thematisch mit Wedekinds Gedicht korrespondierende Illustration des Titelblatts) und den noch anonymen Dichter (Frank Wedekind), wegen Majestätsbeleidigung (§ 95 des Reichstrafgesetzbuches) erlassen. In Leipzig wurde gemeldet: „Die neueste Nummer (31) der illustrierten Wochenschrift ‚Simplicissimus‘, Verlag von Albert Langen in München, ist wegen eines die Palästinareise des Kaisers behandelnden Gedichtes, betitelt ‚Im heiligen Land‘, in dem eine Majestätsbeleidigung enthalten sein soll, am 25. d.M. auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Leipzig in Leipziger Buchhandlungen und Restaurants polizeilich beschlagnahmt worden.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 250, 27.10.1898, S. 8022] Die „Münchner Neuesten Nachrichten“ zitierten am 27.10.1898 den Polizeibericht: „Nummer 31 des dritten Jahrganges des in Leipzig erscheinenden ‚Simplicissimus‘ wurde durch Beschluß des Untersuchungsrichters am k. Landgericht Leipzig vom 24. Oktober wegen Vergehens gegen § 95 R.-Str.-G.-B. (Majestätsbeleidigung), verübt in dem Gedichte ‚Im heiligen Lande‘, beschlagnahmt und die Beschlagnahme requisitionsgemäß auch hier vollzogen.“ [KSA 1/II, S. 1712] Der Albert Langen Verlag schaltete im Branchenblatt eine auf München, den 25.10.1898 datierte, „Simplicissimus“ überschriebene Anzeige: „No. 31 (Palästina-Nummer) wurde soeben von der Staatsanwaltschaft Leipzig aus wegen Majestätsbeleidigung in ganz Deutschland beschlagnahmt.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 250, 27.10.1898, S. 8031] erfolgte die Confiscation nebst Verhaftsbefehl. Ganz München kannte mich als Autor des Gedichtes. In der Zeit bis SamstagGerhart Hauptmanns Komödie „Der Biberpelz“ wurde am 25.10.1898 (Dienstag) und am 28.10.1898 (Freitag) am Münchner Schauspielhaus gespielt ‒ mit Wedekind in der Rolle des Privatgelehrten Dr. Fleischer, der wegen Majestätsbeleidigung verhaftet werden soll. spielte ich noch zweimal vor gutbesetztem Haus den Dr. Fleischer ‒ ein eigenthümliches Zusammentreffen von Umständender gleichzeitige Vorwurf der Majestätsbeleidigung in der Realität (der Haftbefehl gegen Wedekind als Autor des Gedichts „Im heiligen Land“ wegen Majestätsbeleidigung) und in der Fiktion (Wedekind steht in Hauptmanns Komödie „Der Biberpelz“ in der Rolle des Privatgelehrten Dr. Fleischer auf der Bühne, der wegen Majestätsbeleidigung verhaftet werden soll).. Woran die Erdgeistaufführung scheiterteDie Erstaufführung des „Erdgeist“ in München am 29.10.1898 im Münchner Schauspielhaus (Direktion: Georg Stollberg) mit Wedekind in der Rolle des Dr. Schön – die Vorstellung dauerte von 19.30 Uhr bis 22.15 Uhr [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 51, Nr. 501, 29.10.1898, General-Anzeiger, S. 1] und war ein Misserfolg [vgl. KSA 3/II, S. 1220f.], wie auch in Leipzig registriert wurde, wo das Stück erfolgreich uraufgeführt worden war. Ein „Fiasko erlebte in München das hier wohlbekannte Stück ‚Der Erdgeist‘ von Frank Wedekind, dessen vielfach auf der Spitze stehenden Situationen bei einer ungenügenden Darstellung ein lärmendes Fiasko machen mußten. Der Dichter ist jetzt bekanntlich nach Paris geflüchtet, nicht vor dem Münchner Publicum, sondern vor der Staatsanwaltschaft, welche eins seiner Gedichte in der Zeitschrift ‚Simplicissimus‘ wegen Majestätsbeleidigung angeklagt hat.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 92, Nr. 588, 20.11.1898, 4. Beilage, S. 8701], kann ich als Autor vielleicht nicht richtig beurtheilen. Lulu hatte einen bösen ZungenfehlerMilena (Lena) Gnad, Schauspielerin im Ensemble des Münchner Schauspielhauses [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 443], spielte in der Premiere von Wedekinds „Erdgeist“ am 29.10.1898 im Münchner Schauspielhaus (siehe oben) die Hauptrolle der Lulu., dazu kam die Bezeichnung „Tragödie“ auf der ich bestanden hatte; der dritte Akt hinkte, schleppte und fiel vollständig durch; die Kostüme waren sehr reich aber geschmacklos. Das übrige wissen Sie: Geheul, GejohlIn der Presse war zu lesen: „Man lachte, lachte aus vollem Halse und mit grausamer Schonungslosigkeit vom ersten bis zum letzten Akt.“ [Allgemeine Zeitung, Jg. 101, Nr. 302, 31.10.1898, S. 1]. Nach Schluß der Vorstellung ließ mir die Polizei durch einen Detectiv mittheilen, sie brauche nur noch zwei Tage, um den Autor des Gedichtes zu entdecken. In einer Gesellschaft von 30 Personen kneipten wir die Nachtnach der Münchner Premiere des „Erdgeist“ am 29.10.1898 (Samstag). durch in den fragwürdigsten Restaurants, am MorgenAufbruch von München frühmorgens am 30.10.1898 (Sonntag). brachten mich zwei Freunde zum Bahnhofe, um 11 Uhr war ich in Kufstein, um 4 Uhr in Innsbruck und am nächsten MorgenWedekind traf also am 31.10.1898 (Montag) um 8 Uhr morgens in Zürich ein. um 8 Uhr hier in Zürich, wo ich zwei Tage späterWedekind traf am 2.11.1898 (Mittwoch) in Zürich den ebenfalls geflohenen Verleger Albert Langen, der am 1.11.1898 (Dienstag) noch in St. Gallen war. Seiner Frau Dagny Björnson schrieb Albert Langen Anfang November 1898 über die Situation in Zürich: „Wedekind und ich sind natürlich beide hier signalisiert und ‚beobachtet‘. Nun, sie werden sich wohl bald davon überzeugen, daß wir keine Bomben fabrizieren.“ [Abret/Keel 1987, S. 194f.] mit Langen zusammentraf. Es war der Zusammenbruch eines ganzen großen Gebäudes, das ich mir für die Zukunft construirt, und es blieb mir die Aufgabe, die Trümmer nach Kräften zu verwerthen. Am zweiten Tage meines Hierseins begann ich ein neues StückWedekind begann am 1.11.1898 in Zürich mit der Niederschrift eines auf vier Akte angelegten Schauspiels „Ein Genußmensch“ [KSA 4, S. 47-76] (erhalten ist nur wenig mehr als der erste Aufzug), brach die Arbeit daran ab und schrieb es in neuer Konzeption dann in Paris unter dem Titel „Ein gefallener Teufel“ fort, die Urfassung des „Marquis von Keith“ [vgl. KSA 4, S. 411-413]., dessen ersten Act ich heute zu beenden hoffe. Es sind jetzt 4 Jahre her, seit ich nicht mehr in Muße arbeiten konnte, und hier arbeitet es sich famos. Langen muß für meinen Lebensunterhalt sorgen und thut es in unbeschränkter Weise; dafür habe ich alle acht Tage ein GedichtAlbert Langen berichtete seiner Frau Dagny Björnson Anfang November 1898 aus Zürich über Wedekinds Gedichtproduktion [vgl. Abret/Keel 1987, S. 193-196], deren Druck im „Simplicissimus“ aber vorerst weitgehend unterblieb. zu machen. Der Grund, weswegen ich mich der Verhaftung entzogen, ist vor allem der, daß es mir von der Polizei als selbstverständlich nahe gelegt wurde. Ich dachte mir, die müssen es ja am besten wissen. Zweitens der, daß ich keine Papiere hatte und bei der Gerichtsverhandlung eventuell noch sonstige Unannehmlichkeiten hätte haben können. Jetzt hoffe ich das Unglück dazu auszunützen, endlich einmal zu einem geordneten Nationalitätsverhältnis zu gelangen. Es ist ja nicht meine Schuld, daß ich es bis jetzt nicht gehabt habe. Aber die Herren in Leipzig werden nun schon herausklauben, welcher NationalitätWedekind war amerikanischer Staatsbürger. In den älteren Eintragungen des polizeilichen Meldebogens steht unter „Geburtsort“ irrtümlich „San Francisco“ (statt richtig: Hannover), unter „Heimat: San Francisco Vereinigte Staaten“ sowie zutreffend unter „Staatsangehörigkeit: Nord-America“ [EWK/PMB Wedekind]. ich angehöre. Der dritte Grund war der heiße sehnlichste Wunsch, endlich mal wieder in Ruhe etwas arbeiten zu können. Nun kommt noch etwas dazu. Durch die Katastrophe bin ich auf dem besten Wege, in intime Beziehungen zur intimen Politik zu treten. Aus dem Tauschprozeßder Prozess gegen den in der politischen Abteilung der Berliner Geheimpolizei leitend tätigen Kriminalkommissar Eugen von Tausch vom 24.5.1897 bis 5.6.1897 vor dem Schwurgericht des Landgerichts I in Berlin, der großes Aufsehen erregt hatte. Er endete zwar mit einem Freispruch für den Kriminalkommissar, der angeklagt war, Verbrechen im Amt sowie Meineid begangen und „gegen die jetzige Regierung in schmählichster Weise intriguirt zu haben“ [Pester Lloyd, Nr. 119, 24.5.1897, Abendblatt, Beilage, S. (2)], indem er jahrelang eigenmächtig Journalisten – darunter Ernst Normann-Schumann (siehe unten) – für die Verbreitung von Gerüchten gewonnen hatte, um gegen die Politik des Kaisers Stimmung zu machen, Eugen von Tausch selbst war aber durch den Skandalprozess diskreditiert und mit ihm der preußische Polizeiapparat mit seiner intriganten Pressepolitik. Die Affäre markiert eine Staatskrise und wurde als ein politischer Skandal wahrgenommen. erinnern Sie sich vielleicht des „berüchtigtenin der Berichterstattung über Ernst Normann-Schumann (siehe unten) das stereotyp benutzte Adjektiv; er wurde in der Presse durchgehend charakterisiert als der „berüchtigte Normann-Schumann“ [Neue Freie Presse, Nr. 11764, 24.5.1897, Abendblatt, S. 2; Arbeiter-Zeitung, Jg. 9, Nr. 143, 25.5.1897, Morgenblatt, S. 6; General-Anzeiger für Hamburg-Altona, Jg. 10, Nr. 125, 30.5.1897, S. 1; Berliner Tageblatt, Jg. 26, 275, Nr. 2.6.1897, Morgen-Ausgabe, S. (2)].Herrmann Schumannrecte: Normann-Schumann. Der Journalist und Polizeiagent Ernst Normann-Schumann konnte im Prozess gegen den Kriminalkommissar Eugen von Tausch (siehe oben) nicht vernommen werden, da er sich ins Ausland abgesetzt hatte (in die Schweiz, wie sich später herausstellte). Er stand im Ruf, ein Hochstapler zu sein, galt aber zugleich als gefährlich. „Unter den Agenten der politischen Polizei war der berüchtigte, zur Zeit des Tausch-Processes nirgends auffindbare Normann-Schumann der gefährlichste.“ [Normann-Schumann. In: Grazer Tagblatt, Jg. 7, Nr. 160, 11.6.1897, Abend-Ausgabe, S. 1] Der Enthüllungsjournalist, der vor allem in Pariser Zeitungen für das Auswärtige Amt peinliche Artikel zur deutschen Politik veröffentlicht hatte, lebte inzwischen in Luzern und wurde in Preußen steckbrieflich wegen Majestätsbeleidigung gesucht: „Einen Steckbrief gegen Normann-Schumann erläßt der Untersuchungsrichter bei dem hiesigen Landgericht I. Das amtliche Schriftstück lautet: ‚Gegen den unten beschriebenen Schriftsteller Wilhelm Friedrich Ernst Schumann, genannt Normann-Schumann, [...] welcher flüchtig ist, ist [...] die Untersuchungshaft wegen wiederholter Majestätsbeleidigung verhängt. [...] Beschreibung: Alter: 44 Jahre. Statur: schlank. Größe: 1 Meter 75 Centimeter. Haare: dunkel.‘“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 261, 25.6.1897, Morgen-Ausgabe, S. 10] Sein Image illustriert folgender Bericht über ihn aus Berlin: „Normann-Schumann, der berüchtigte jurnalistische Hochstapler, lebt jetzt herrlich und in Freuden in Luzern. Dort haben ihn Bewohner seines früheren Wohnortes Zehlendorf gesehen und gesprochen, und ihnen gegenüber hat er sich als völlig harmloser Mensch und als ein Opfer von Verdächtigungen und Verleumdungen hingestellt. Normann-Schumann macht auch in Luzern einen großen Aufwand, bewohnt mit seiner Frau seine eigene, fürstlich eingerichtete Villa und prahlt noch immer mit seiner Kenntniß von allerlei Staatsgeheimnissen, die, wenn er plaudern könnte, die Welt in Staunen setzen würden.“ [Neues Wiener Journal, Nr. 1873, 19.8.1897, S. 4]. Ich werde den Herrn in den nächsten Tagen kennen lernenmöglicherweise in Anspielung auf die eigene Situation sarkastisch gemeint; ein Treffen Wedekinds mit dem ebenfalls wegen Majestätsbeleidigung gesuchten und in die Schweiz geflohenen Ernst Normann-Schumann (siehe oben) ist nicht belegt.. Damit eröffnet sich mir eine neue Welt, auf die ich mich, so gefahrvoll sie erscheinen mag, von ganzem Herzen freue. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, verehrte Frau, daß es mir nicht einfallen kann, mich auf unsaubere Missionen einzulassen. Ich hoffe, daß Sie mir das Vertrauen entgegenbringen, ich würde sonst nicht so offen sprechen. Aber die Fäden, die hier zusammenlaufen, sind wichtiger als man in Deutschland glaubt. Deswegen bin ich auch meiner Rückkehr nach Deutschland wegen ganz außer Sorge, erfolgt sie nun durch Abbüßung der Strafe oder auf irgend einem anderen Wege. Hätte ich mich verhaften lassen, so müßte ich in Leipzig aussagen, daß ich die GedichteNeben dem inkriminierten Gedicht „Im heiligen Land“ in Nr. 31 des „Simplicissimus“ (siehe oben) handelte es sich ferner um das Gedicht „Meerfahrt“ in der nächsten Ausgabe. „Das in der Nummer 32 des ‚Simplicissimus‘ enthaltene Gedicht ‚Die Meerfahrt‘, das von dem Schriftsteller Frank Wedekind verfaßt ist, enthält in seiner Schlußstrophe eine Beleidigung des deutschen Kaisers.“ [Prozeß gegen den „Simplicissimus“. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 295, 21.12.1898, S. 9787] ganz gegen meine Ueberzeugung geschrieben habe und in gar keinem moralischen Zusammenhang mit meinem Vergehen stehe. Das mag ich nicht, es wäre mir eine sehr unangenehme Blamage und deshalb in erster Linie lasse ich die Herren mich ohne meine Mitwirkung verurtheilenDer Majestätsbeleidigungsprozess ‒ gegen den Zeichner Thomas Theodor Heine (und wegen Fahrlässigkeit gegen die Leipziger Drucker) ‒ fand am 19.12.1898 vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Leipzig statt (Beginn 9 Uhr morgens): „Die Oeffentlichkeit war auf die gesamte Dauer der Verhandlung ausgeschlossen. Die Verhandlung nahm 3½ Stunden in Anspruch. Mittags ½1 Uhr zog sich der Gerichtshof zur Beratung zurück. Die Urteilsverkündung erfolgte um ¾2 Uhr nachmittags. Es sind verurteilt worden: Heine wegen Majestätsbeleidigung in zwei Fällen mit sechs Monaten Gefängnis und die beiden mitangeklagten Buchdrucker, die infolge der Flucht des Verfassers Wedekind und des Verlegers Langen nach § 21 des Preßgesetzes zur Verantwortung herangezogen wurden, zu je 300 M Geldstrafe. Die Kosten des Verfahrens haben die Angeklagten zu tragen.“ [Prozeß gegen den „Simplicissimus“. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 295, 21.12.1898, S. 9787]. Aber nun zu Ihnen. Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für das liebe Anerbieten, was Sie mir gemacht haben. Sie sehen, verehrte Frau, ich brauche es nicht; aber wer weiß, es kann die Zeit kommen, wo ich Sie daran erinnern werde. Ich sage Ihnen meinen, herzlichen aufrichtigen Dank. Es war das einzige derartige Anerbieten, das mir auf mein Mißgeschick hin zutheil wurde.

Daß ich Herrn Doctors freundliche Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Carl Heine an Wedekind, 25.10.1898. Carl Heine dürfte Wedekind von seinem neuen Wirkungskreis, dem Carl Schultze-Theater in Hamburg (siehe unten), berichtet haben. bis heute nicht beantwortet, wird er mir verzeihen. Ich erhielt sie drei Tage vor der Premiere und so sehr ich mich über die Nachrichten freute, wollte ich zuerst das Ereignis abwarten. Nun sende ich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihren Erfolgen und zu dem Wirkungskreisdas Carl Schultze-Theater (Direktion: José Ferenczy) in Hamburg, wo Carl Heine mit „Die Wildente“ von Henrik Ibsen am 14.10.1898 noch mit dem Ibsen-Theater eine erfolgreiche Gastspielpremiere hatte; er wurde dort wohl unmittelbar darauf als Oberregisseur und artistischer Leiter engagiert [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 367] und zog nach Hamburg (Eichenallee 11) [vgl. Beate Heine an Wedekind, 20.12.1898], wohin der vorliegende Brief adressiert gewesen sein dürfte., der Herrn Doctor hoffentlich ungehindert Gelegenheit giebt, sich auszuleben und seinem Streben entsprechend künstlerisch zu arbeiten. Meine besten Wünsche sind noch bei Ihnen. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß Sie Erfolg haben, wiewol ich keine Zeitungen gelesen, keine Nachrichten empfangen habe; gegen ZeitungslesenDie Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“ war in der Presse stark präsent. habe ich augenblicklich eine kleine Aversion. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, liebe verehrte Frau, wenn Sie mir schreiben und unsere Beziehungen nicht erlöschen lassen wollten. An mir wird es gewiß nicht fehlen. Grüßen Sie Herrn Doctor aufs herzlichste, sagen Sie ihm meine besten Wünsche und die Versicherung meiner unwandelbaren herzlichen Freundschaft. Ihnen, verehrte Frau, herzlichen Dank für Ihre Mittheilungen, für Ihre Sympathie von Ihrem Ihnen treu ergebenen
Frank Wedekind.


P.S. Würden Sie bitte darauf achten, daß von diesen Zeilen nichts in die Oeffentlichkeit sikertrecte: sickert., da mich das bei Langen arg discreditiren könnte. Ich selber vermeide es peinlich, irgend eine Zeitungsnachricht zu dementiren, da es in meinem Interesse liegt, daß man so wenig wie möglich Positives über mich weiß.

Verwehren Sie mir daher die Bitte nicht, außer unseren Intimen niemandem etwas über mich zu sagen, wenigstens nichts Bestimmtes.

‒ Nächstens wird „Schwigerling„Fritz Schwigerling“ war der ursprüngliche Titel von Wedekinds Stück „Der Liebestrank“ [vgl. KSA 2, S. 997], das unter dem Titel „Der Liebestrank. Schwank in drei Aufzügen“ [KSA 2, S.1004] 1899 im Albert Langen Verlag erschien. Den Vertrag hierüber und für ein weiteres Stück hat Wedekind am 18.11.1898 in Zürich mit Albert Langen geschlossen (siehe unten).“ und „Gastspiel„Das Gastspiel“ war der ursprünglich vorgesehene Titel von Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ [vgl. KSA 4, S. 323], der unter dem Titel „Der Kammersänger. Drei Scenen“ [KSA 4, S. 332] erschien – im Frühjahr 1899 als Neuerscheinung im Albert Langen Verlag in München angezeigt [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 52, 4.3.1899, S. 1742]. In dem Vertrag, den Wedekind am 18.11.1898 in Zürich mit Albert Langen abschloss, heißt es zu diesem und einem weiterem Stück (siehe oben): „§ 3. Herr Langen nimmt die beiden dramatischen Werke Wedekinds ‚Ein Gastspiel‘ und ‚Der Liebestrank‘ in Verlag und ‚Ein Gastspiel‘ unter den allgemein üblichen Bedingungen (10% der Tantiemen-Eingänge) auf in seinen Bühnenvertrieb. Von dem Reingewinn erhält Herr Wedekind die Hälfte.“ [Mü, PW B 89]“ bei Langen im Verlag erscheinen.

Beste Grüße an HenzeMax Henze war Schauspieler an dem von Carl Heine geleiteten Theater der Literarischen Gesellschaft in Leipzig [vgl. Neuer Theater-Almanach 1898, S. 435], dem Ibsen-Theater. Er hatte bei der Leipziger Uraufführung des Schwanks „Der Liebestrank“ die Hauptrolle des Fritz Schwigerling gespielt. Er folgte Carl Heine nach Hamburg als Schauspieler an das Carl Schultze-Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 367]..


[2. Zitat in J. A. Stargardt: Katalog 695 (2011), Nr. 232:]


Weswegen ich die politischen Liederfortsetzte, können Sie sich leicht denken, jedenfalls nicht aus Überzeugung. Am Dienstag erfolgte die Confiscation nebst Verhaftsbefehl. Ganz München kannte mich als Autor des Gedichtes ... In der Zeit bis Samstag spielte ich noch zwei Mal vor gutbesetztem Haus den Dr. Fleischer ‒ ein eigenthümliches Zusammentreffen von Umständen. Woran die Erdgeistaufführung scheiterte, kann ich als Autor vielleicht nicht richtig beurteilen.  Lulu hatte einen bösen Zungenfehler, dazu kam die Bezeichnung „Tragödie“ auf der ich bestanden hatte; der dritte Akt hinkte, schleppte und fiel vollständig durch; die Kostüme waren sehr reich aber geschmacklos. Das übrige wissen Sie: Geheul, Gejöhl. Nach Schluß der Vorstellung ließ mir die Polizei durch einen Detectiv mittheilen, sie brauche nur noch zwei Tage, um den Autor des Gedichtes zu entdecken. In einer Gesellschaft von 30 Personen kneipten wir die Nacht durch ..., am Morgen brachten mich zwei Freunde zum Bahnhofe, um 11 Uhr war ich in Kuffstein, um 4 Uhr in Innsbruck und am nächsten Morgen um 8 Uhr hier in Zürich, wo ich zwei Tage später mit Langen zusammentraf. Es war der Zusammenbruch eines ganzen großen Gebäudes, das ich mir für die Zukunft construirt und es blieb mir die Aufgabe, die Trümmer nach Kräften zu verwerthen. Am zweiten Tage meines Hierseins begann ich ein neues Stück, dessen ersten Act ich heute zu beenden hoffe. Es sind jetzt 4 Jahre her, seit ich nicht mehr in Muße arbeiten konnte, und hier arbeitet es sich famos. Langen muß für meinen Lebensunterhalt sorgen und thut es in unbeschränkter Weise; dafür habe ich alle acht Tage ein Gedicht zu machen. Der Grund weswegen ich mich der Verhaftung entzogen ist vor allem der, daß es mir von der Polizei als selbstverständlich nahe gelegt wurde. Ich dachte mir, die müssen es ja am besten wissen [...]

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

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Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck zugänglich. Die Existenz des Originals ist verbürgt [vgl. J. A. Stargardt: Katalog 695 (2011), Nr. 232].

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Zürich
    12. November 1898 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Zürich
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Hamburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
314-318
Briefnummer:
145
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Beate Heine, 12.11.1898. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

08.03.2024 12:30