Kennung: 288

Berlin, 20. Januar 1914 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Barnowsky, Victor

Inhalt

Lieber, sehr verehrter Herr Direktor Barnowsky!

Sie lassen mir die Auszeichnung widerfahren, mir für den PremierenabendWedekinds Versdrama „Simson“ wurde am 24.1.1914 am Berliner Lessingtheater (Direktor: Victor Barnowsky) uraufgeführt – ohne Wedekind, der zwar am 11.1.1914 in Berlin eintraf [vgl. Tb], um die Regie zu führen, was er anfangs und bis zuletzt offiziell tat, die Rolle des Königs Og von Basan (siehe unten) aber nicht spielte; er ist nach Kompetenzstreitigkeiten mit Victor Barnowsky, der die Regie am 20.1.1914 übernahm, am 21.1.1914 von Berlin abgereist und war am 22.1.1914 früh zurück in München [vgl. Tb], wo er am 23.1.1914 noch zwei Telefonate mit Victor Barnowsky führte, „die mich bestimmen, nicht nach Berlin zu gehen“ [Tb]. meines „Simson“ die Rolle des KönigsVictor Barnowsky, Direktor des Lessingtheaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 309], hatte Wedekind am 19.1.1914 gebeten, in „Simson“ die Rolle des Königs zu übernehmen: „Probe, nach der Barnowsky mich bittet Og von Basan zu spielen.“ [Tb] Aus Wedekinds Telegramm an seine Frau vom 20.1.1914 und aus seinem Brief an sie vom selben Tag geht hervor, dass Victor Barnowsky darauf bestand, dass Wedekind den König Og von Basan spiele. Wedekind fand sich zunächst damit ab (er ließ sich von seiner Frau seinen Schminkkasten schicken), die Rolle nun in wenigen Tagen lernen zu müssen, ein Gespräch mit Carl Heine sowie ein Gespräch mit Friedrich Kayßler, dem Darsteller der Titelrolle, am 20.1.1914 – „Probe. Ich probiere ersten und zweiten Akt. Barnowsky führt Regie. Besuch von Dr. Heine Unterredung mit Kaysler Ich schreibe Brief an Barnowsky“ [Tb] – dürften ihn aber dazu veranlasst haben, das Spiel dieser Rolle noch am selben Tag brieflich abzulehnen. Er schickte den Brief am Vormittag des 21.1.1914 ab, nicht nur an Victor Barnowsky, sondern in einer Abschrift auch an den Feuilletonchef des „Berliner Tageblatt“ [vgl. Wedekind an Paul Block, 21.1.1914], das in der Morgen-Ausgabe mitgeteilt hatte, Wedekind würde den König definitiv spielen [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 36, 21.1.1914, Morgen-Ausgabe, S. (2)] und diese Mitteilung durch die Veröffentlichung des vorliegenden offenen Briefs in der Abend-Ausgabe (siehe Kommentar zum Erstdruck) revidierte. Og von Basan zu übergeben, die ursprünglich Ihrem MitgliedAlexander Rottmann war Schauspieler im Ensemble des Berliner Lessingtheaters (Direktion: Victor Barnowsky) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 309]. Wedekind war mit ihm seit der von Karl Kraus veranstalteten Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 bekannt – Alexander Rottmann spielte die Rolle des Rodrigo Quast, aufgeführt im Theaterzettel [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15]. Herrn Alexander Rottmann anvertraut war, und die Herr Rottmann schon auf mehreren ProbenWedekinds Tagebuch zufolge fanden unter seiner Regie vom 12. bis 17.1.1914 täglich Proben statt (an den beiden ersten Tagen Arrangierproben), dann wieder am 19.1.1914 [vgl. Tb]. Wedekind hielt am 15.1.1914 definitiv fest: „Gehe mit Rottmann seine Rolle durch“ [Tb]. Seiner Frau schrieb er am 14.1.1914, ihm gefalle Alexander Rottmann „sehr gut“ [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 14.1.1914] und er finde ihn „ausgezeichnet“ [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 16.1.1914]. zu meiner, wenn vielleicht auch nicht zu Ihrer vollsten Zufriedenheit verkörpert hatte. Diese Umbesetzung beweist sicher nur, daß Sie keinen Weg unbeachtet lassen wollten, auf dem Sie dem Zuschauer ein erschöpfendes Verständnis meiner Arbeit vermitteln konnten. Außerdem wäre es wohl keinem Theaterleiter zu verzeihen, wenn er sich bei Neubesetzungen, die ihm künstlerisch ersprießlich erscheinen, durch Empfindlichkeiten der davon Betroffenen beirren lassen wollte. Für mich, der ich nicht Schauspieler von Beruf bin, muß in dieser Sache ein anderer Gesichtspunkt maßgebend sein. Ich finde, daß die Darstellung keines Dramas der Welt wichtig genug ist, um durch die empfindliche, vielleicht folgenschwere Kränkung eines verdienten Künstlers erkauft zu werden, der mit größter Schaffensfreude und Hingabe seine erprobte Kraft bereits in den Dienst des Werkes gestellt hatte. Wollen Sie, verehrter Herr Barnowsky, mir daher erlauben, die Rolle des Og von Basan wieder in die Hände des Herrn RottmannAlexander Rottmann spielte bei der Uraufführung des „Simson“ (siehe oben) die Rolle des Og von Basan. Fritz Engel würdigte die Darstellung in seiner Besprechung: „Zum Pathos leitete der König Og über, den Wedekind nie selbst hätte spielen können, und der nun von Alexander Rottmann mit kluger Kraft gegeben wurde.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 44, 25.1.1914, Morgen-Ausgabe, S. (2-3), hier S. (3)] zurückzulegen.

Im Bewußtsein der großen künstlerischen Förderung, die ich Ihnen seit bald zehn JahrenVictor Barnowsky hatte Wedekind im Sommer 1905 an das von ihm ab dem 1.9.1905 für einige Jahre geleitete Kleine Theater in Berlin engagiert, seitdem diverse Stücke Wedekinds inszeniert und Wedekinds Theaterkarriere maßgeblich befördert. zu danken habe
Ihr ergebener
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert. Von dem handschriftlichen Originalbrief (verschollen) wurde eine Abschrift hergestellt (ebenfalls verschollen), die als Druckvorlage für den offenen Brief im „Berliner Tageblatt“ diente (siehe den Kommentar zum Erstdruck).

Datum, Schreibort und Zustellweg

Schreibdatum und Schreibort sind durch Wedekinds Notiz vom 20.1.1914 in Berlin belegt: „Ich schreibe Brief an Barnowsky.“ [Tb]

Der Brief wurde am 21.1.1914 „an [...] Barnowsky“ [Tb] versandt.

  • Schreibort

    Berlin
    20. Januar 1914 (Dienstag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Berliner Tageblatt

Ort der Herausgabe:
Berlin
Verlag:
Berlin: Mosse
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Frank Wedekind spielt nicht in seinem „Simson“. In: Berliner Tageblatt, Berlin, Jg. 43, Nr. 37, 21.1.1914, Abend-Ausgabe, S. (2). Der offene Brief ist redaktionell eingeleitet: „Auf die uns vom Lessing-Theater zugegangene Mitteilung im heutigen Morgenblatt, daß Frank Wedekind die Rolle des Og von Basan in seinem ‚Simson‘ spielen werde, schickt uns der Dichter die folgende Abschrift eines an Herrn Direktor Barnowsky gerichteten Briefes:“ Die in der Einleitung genannte Mitteilung lautet: „Im Lessing-Theater wird in der am Sonnabend, 24. Januar stattfindenden Uraufführung von ‚Simson‘ die Rolle des Königs Og von Basan von Frank Wedekind dargestellt. Der Dichter hat gleichzeitig die Regie übernommen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 36, 21.1.1914, Morgen-Ausgabe, S. (2)] Wedekind hatte eine Abschrift des Briefs an Paul Block, den Feuilletonchef des „Berliner Tageblatt“ [vgl. Wedekind an Paul Block, 21.1.1914], und zugleich das Original an den Direktor des Lessingtheaters geschickt, wie er am 21.1.1914 notierte: „Briefe an Paul Blok und Victor Barnowsky.“ [Tb] – Neuedition des offenen Briefs: KSA 5/III, S. 505-506.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Victor Barnowsky, 20.1.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (08.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

14.09.2023 18:01