Stein
a.Rh., den 20 Januar 84.
Mein
lieber Franklin!
Entschuldige,
daß ich Dir auf Conzeptpapier schreibe; mein Postpapier ist alle und es ist
Sonntag, wo ich als fromme Bürgerin nicht gerne in den Laden sende. Und doch
will ich heute noch ein wenig mit Dir plaudern; denn morgen gibt‘s wieder
allerlei sonst zu besorgen. undMöglicherweise ein Schreibversehen oder ein Textverlust, so dass hier ein "und" konjiziert ist, da vor "Kaffeehandel" von Olga Plümacher ein kleines "der" eingefügt wurde. der Kaffeehandel geht „animirt“, drei
Sendungen muß ich morgen spediren und
dann erwarte ich jetzt auch mit jeder Post einen endgiltigen Bericht vonTextverlust, konjiziiert. F. A. Brockhaus in Leipzig wegen der Uebernahme meines Buches; kann
ich mich mit B. nicht verständigen, so bekommt G. Weiß in Heidelberg den Verlag;
in jedem Fall wird die Drucklegung nächstens beginnen und zu Ostern hoffe ich
mein Geisteskindlein auf den Jahrmarkt des Lebens heraus treten zu sehen. –
Ich danke Dir herzlich für Deine
abermalige Bemühung in der Kadettenangelegen- | heit; einige der verzeichneten
Schriften sind bereits an meinen Mann abgegangen, andere aber sind mir noch
nicht bekannt geworden und werde ich sie mir beschaffen. Also beßten Dank!
Um auf das Sonett noch einmal zurück
zu kommen, so weiß ich nicht ob Dir bekannt ist,
daß kein Geringerer als Shakespear 1454
Sonette gedichtet hat in falscher Form. Ob er die richtige nicht kannte, oder
ob sie ihm zu sehr Feßel dünkte, weiß ich nicht – ein Literatur-Historiker
könnte darüber ein Buch schreiben – und vielleicht, oder sogar sehr
wahrscheinlich, ist es auch schon geschehen. Da mir auch nicht bekannt ob Du einen
englischen Shakespear zu Handen hast, so schreib ich Dir eines der hübschesten
Sonette ab. Vxx (Vide Beiblatt.) Du
siehst daraus, daß er nur 10 Silben in der Zeile | hat und zwei Paar Reime zu
viel. Der besungene Gegenstand ist wie Du weißt, keine Dame, sondern ein junger
Freund; das Verhältniß also ähnlich wie das bei Platen, dessen Sonette ja auch
an Justus von Liebig gerichtet waren. Die Philister verstehen natürlich eine
derartige Freundschaft nicht und haben sich daher
bemüht d ihre Träger in den Coth zu ziehen. – Ich habe gestern noch an
meine Freundin in Zürich geschrieben sie möge
mir das Gabriel-Max-Album für 8 Tage leihen. Sobald ich es erhalte – ich hoffe
zuversichtlich, daß sie meine Bitte gewährt – so sende ich es Dir; es hat
wundervolle Sachen dabei, die kennen zu lernen gewiß auch der lieben Mama
Freude machen wird. G. Max ist eben eine ganz einzigartige Individualität
unserer modernen Maler. – Als ich gestern Abend Deinen Brief erhielt, wußte und
kannte | ich von Rudolf Baumbach noch nichts als eben den Namen und den
Titel des von Dir erwähnten Buches, da ich dieses wiederholt in Journalen
angezeigt fand; auch hatte ich irgendwo eine Kritik flüchtig gestreift, worin
die GedichtSchreibversehen Olga Plümachers. Es muss "Gedichte" statt "Gedicht" heißen. als geistvoll und formschön, wenn
auch oft etwas derb und „verwegen“ geschildert wurden. Kaum aber hatte ich
Deinen Brief gelesen, soTextverlust, konjiziiert. brachte die
Bötin mir die Mappe den/s/ Lesecirkels für diese Woche, und siehe da, in
„Nord und Süd“ finde ich einige „neue Gedichte“ von Rud. Baumbach begleitet von
einer Fußnote; daß eine der nächsten Nummern auch eine Beurtheilung und
Charakteristik dieses Dichters bringen werde. Ich bin nun weit zurück in der
Reihe derer, die an diesem Lesecirkel Theil haben; die betreffende Nummer von
„Nord u. Süd“ ist Mai 83, mithin ist auch die Beurtheilung längst erschienen.
Sollte sie aber auch noch |
2.
nicht zu Dir gelangt sein, so will ich sie Dir
senden, sobald ich sie erhalte. Nord u. Süd ist aber nur eine Monats-bl
Revue, daher es zum mindesten 4, vielleicht aber 8 Wochen geht bis mir dieses
möglich ist. Von diesen „neuen Gedichten“ habe ich zwei für Dich abgeschrieben
(vide Beiblatt) und sind beide wohl recht
bezeichnend für seine Weise und für diese Weise
ganz reizend. –
Du sagst du hättest Wagner‘s Tannhäuser-Text
gelesen. Nun, Wagner‘s Tannhäuser ist eine prachtvolle Oper, aber als Dichtung
hat sie nicht viel zu bedeutendSchreibversehen Olga Plümachers. Es muss "bedeuten" statt "bedeutend" heißen. . Die „Schwäche“
der Lösung ist aber insofern höchst intressant, als es eine sie re
sie direct aus einer „Schwäche“, aus einer Unentschiedenheit des katholischen
Dogmas hervorwächst. Die katholische Kirche beansprucht nämlich einerseits
die unbedingte Macht zu „lösen und zu binden“, dem Sünder zu vergeben, ihn | im
letzten Moment noch vor der Verdammniß zu retten, oder anderseits ihn
vermittelst des Bannes aus dem dem Kreis der Gnade auszustoßen; zum
andern aber bekennt sie sich durch verschiedene Concils-Beschlüße zur Lehre des
Kirchenvaters Augustinus, der im Sinne des Paulus und des
Johannes-Evangeliums eine Vorweltliche Prädestination zur Seligkeit oder zur
Verdammniß (Johannes „Gottes- und Teufels-Kinder<“> annahm. Entsprechend
der Prädestinationslehre kann auch die Kirche nicht weder die zur
Hölle verdammen noch vor der Hölle retten, sondern alle ihre Gnadenmittel
beziehen sich nur auf das Verhältniß der zum ewigen Leben Berufenen und dem Fegefeuer.
Sie kann nur die Qual des Millionen und Millionen Jahre dauernden Aufenthaltes
im Fegefeuer auf mindere Zeit reduciren, resp. verlängern. Natürlich | suchte
man sich dadurch mit dem Widerspruch in‘s Reine zu setzen, daß mannSchreibversehen Olga Plümachers. "man" statt "mann". die Fälle registrirte, wo anzunehmen sei, daß der
Sündenträger ein prädestinirter Höllenkandidat, oder bloß ein der Gnadenmittel
noch zugängliches irrendes Schaaf der Gottesherde sei. Der Papst hat nun eben
gemeint der Sommeraufenthalt des Tannhäusers bei der Erzteufelin Frau Venus sei ein sicheres Zeichen, daß Tannhäuser zu den Verworfenen gehöre und sein Spruch enthielt also keine persönliche
Grausamkeit. Freilich in sofern kommt er bei Wagner schlecht weg, als er sich eben
als irrender Mensch, und nicht als infallibel erweißt. Wagner hat den
„Tannhäuser“ auf drei verschiedene Weisen zu Ende bringen lassen: der
Papst sagt bekanntlich: „wie dieser Stab in Deiner Hand nie mehr sich schmückt
mit frischem Grün, wird aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer Dir
erblühn"; die älteste Form ist nun, daß die Pilger | den Pilgerstab des
Tannhäusers auf die Bühne bringen, nachdem ihm Knospen und Blätter entsproßen
sind. Ueber dieses handfeste Wunder wurde gelächelt und nun liesSchreibweise Olga Plümachers. Wag. den Tann. einfach mit den Worten „heilige
Elisabeth bitt‘ für mich“ sterben, und setzte voraus, daß das Publikum anders
dächte als der Papst und vollkommen beruhigt über
das jenseitige Schicksals des armen Tannhäusers nach Hause gehe. Aber
das gefiel an kath. Orten nicht, und so wurde das Wunder wieder eingesetzt,
aber der Stab kam nicht auf die Bühne, das Hauptgewicht wurde auf die Fürbitt
der heiligen Elisabeth gelegt. Nun, wie gesagt für eine Oper ist‘s ja
ganz gut; sonst aber könnte man aus dem Tannhäuser MytosSchreibweise Olga Plümachers.
unendlich viel mehr machen und ist das Thema durchaus noch nicht von den
Dichtern erschöpft. Ich empfehle Dir für die ferne Zukunft diesen Stoff;
über das „Wie“, wie ich es mir denke, will ich Dir einmal |
3.
mündlich
auseinander setzen. –
Was nun endlich noch den
erkenntnißtheoretischen Idealismus als abstrakter Monismus betrift,Schreibversehen Olga Plümachers. "betrifft" statt "betrift". (d.h. als die Anschauung, daß die Welt der
Vielheit eigentlich nur ein Schein, und in Wirklichkeit nur Ein Wesen sei, das
gleichsam die Welt nur als seinen schlimmen Traum träume) so ist sein
Zusammenhang mit dem Pessimismus oder Optimismus ein lockerer.
In der Philosophie der Indier ist
der Illusionismus mit dem Pessimismus
verbunden; aber der moderne Skepticismus des Neuen Kantianismus führt auch auf
den Illusionismus hinaus, und doch vertreten die Neu-Kantianer den Optimismus.
Es kommt eben bezüglich Optimismus und
Pessimismus nicht darauf an ob wie ich mir das „Erfahrene“ denke, ob ich
es „Sein“ oder „Schein“ nenne, es ist eben doch was es ist für
die Empfindung, und es kommt einfach darauf an, ob ich die Summe | der
Empfindung für überwiegend angenehm oder überwiegend unangenehm, leidvoll für
die Empfindungssubjecte erachte. – Auch hierüber findest Du Einiges in meinem
Buche. –
Doch nun will ich schließen. Bitte
gib das Brieflein Deiner Cousine, der lieben Mama aber meine herzlichsten
Grüße.
Mein lieber Franklin! Nun habe ichTextverlust, konjiziert. so lange mit Dir geschwazt – nun tuTextverlust, konjiziert. mir auch den Gefallen und schreibe bald mal meinem
lieben, armen einsamen Jungen im Schwabenländle ein paar freundliche Worte,
gelt Lieber? Man kann zwar ja mit ihm nicht philosophiren und – phantasiren –
aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck und einen sehr gesunden Verstand für
alles Praktische und ist so treu und so ehrlich in seiner Freundschaft, wenn er
es auch nicht in schönen Worten sagen kann. /
Adieu lieber Franklin! Es freut
mich, daß bei Dir wieder recht klares Wetter geworden ist, und die rosenrothen
Nebel sich verzogen haben.
Deine Dich liebende Tante O.
Plümacher